Das Jahr fing schlecht an und endete sehr gut. McLaren überraschte mit einem Comeback in diesem Jahr.
Das einstige Top-Team der Formel Eins ist (fast) wieder zurück. Man kann von Zak Brown halten, was man will, aber er hat es nicht nur geschafft, das Team vor dem vollkommenen Zerfall und Verkauf zu bewahren, er hat auch die Strukturen geschaffen, die McLaren zumindest in diesem Jahr wieder zu einem ernsthaften Kandidaten gemacht haben. Dabei hatte das Jahr wirklich schlecht angefangen. Denn zu Beginn der Saison fand sich McLaren am Ende des Feldes wieder.
Vorausgegangen war ein erneuter Umbau der Führungsriege bei McLaren. Andreas Seidl hatte das Team auf eigenen Wunsch verlassen, um neuer CEO bei Sauber/Audi zu werden. Brown sah sich gezwungen, das Team erneut umzubauen, musste aber dafür zunächst niemanden von außen holen. Andrea Stella, ehemaliger Ferrari-Mann und seit einigen Jahren bei McLaren, wurde zum Teamchef befördert. Und das sollte eine richtige Entscheidung sein, denn der sehr methodische und ruhige Stella brachte eine neue Ruhe und neues Selbstbewusstsein ins Team.
Einfach war sein Start nicht, denn das von James Key verantwortete Chassis erwies sich als Krücke. Stella und Brown beschlossen, die gesamte technische Abteilung neu zu strukturieren. James Key wurde entlassen, Peter Prodromou übernahm die Aerodynamik, Neil Houldey übersieht den technischen Bereich und ab Januar bekommt man den ehemaligen Chefentwickler von Ferrari, David Sanchez, der im Moment in einem „gardening leave“ von Ferrari ist, aber sicherlich per Mail für McLaren erreichbar war. Neuer Technischer Direktor wird allerdings Rob Marshall, den McLaren von Red Bull abgeworben hat. Der darf seine Arbeit auch erst offiziell im Januar starten, aber sein Einfluss scheint schon jetzt bemerkbar zu sein.
Die Qualität der neuen technischen Abteilung ist schon bemerkenswert, zumal Andrea Stella als Teamchef als ehemaliger Renningenieur und ausgebildeter Aerodynamiker von der Technik auch was versteht. In bemerkenswerter Geschwindigkeit gelang es McLaren in diesem Jahr, das eigentlich schlechte Auto komplett auf den Kopf zu stellen. Genau genommen baute man über mehrere Schritte eine B-Variante des Autos.
Der Schritt erfolgte zum Rennen in Baku, der zweite Schritt in Spanien und über die folgenden Rennen. Bei allen Updates konnte man Fortschritte am Auto feststellen und McLaren fuhr sich in Windeseile wieder an die Spitze. Insgesamt gelang es McLaren in wenigen Monaten, mehr als eine Sekunde im Auto zu finden. Das war schon mehr als bemerkenswert und entsprach ungefähr dem, was Aston Martin zeigte. Die hatten aber den ganzen Winter Zeit für den Neubau des Chassis, während McLaren das während der Saison und parallel zur Entwicklung des Autos für 2024 erledigen mussten.
McLaren gelang sogar das Kunststück, einen Sieg einzufahren. Oskar Piastri siegte zwar „nur“ im Sprintrennen von Katar, aber er war der einzige Sieger in diesem Jahr, der nicht in einem Red Bull oder Ferrari saß. Und McLaren war das einzige Team, dass Red Bull überhaupt in einem Sprintrennen schlagen konnte. Damit positioniert sich McLaren als erster Verfolger für das Jahr 2024. Denn im Gegensatz zu Mercedes und Ferrari, die beide komplett neue Autos bauen müssen, kann McLaren auf der Basis von 2023 aufbauen.
Ohne Probleme war das McLaren in diesem Jahr nicht. Trotz der umfangreichen Umbauten konnte man gewisse grundlegende Schwächen des Autos nicht abstellen. Dazu gehörten vor allem die extrem schnellen Strecken auf denen ein hoher Topspeed gefragt war. Das Auto produzierte zu viel Abtrieb in bestimmten Situationen, was man nicht abstellen konnte. Die Arbeit im Winter wird sich also vor allem auf den Unterboden und den Diffusor konzentrieren und man wird, auch dank Rob Marshall, das Konzept des Red Bull weiterkopieren und ausbauen.
Tatsächlich wird es spannend werden, ob McLaren über den Winter ein Auto hinbekommt, mit dem Red Bull zumindest mal wieder unter Druck setzen kann. Es wäre nicht nur für die Fans zu wünschen, dass es etwas mehr Abwechslung an der Spitze gibt und McLaren mal wieder ein Rennen gewinnt, wäre nach der jahrzehntelangen Dominanz von Red Bull, Mercedes und Ferrari auch mal wieder nett.
Viel wird dabei von den Piloten abhängen. Es ist unbestritten, dass McLaren mit den beiden jungen Fahrern sehr gut für die Zukunft aufgestellt ist. Oscar Piastri hat in seiner Debüt-Saison absolut überzeugt, auch wenn man ihm anmerkte, dass ihm die Rennerfahrung fehlt. Aber vom reinen Speed her sieht er schon mal gut aus und dass er Lando Norris unter Druck setzen konnte, zeugte auch davon, welches Potenzial der Neuseeländer hat.
Norris wird sich aus zwei Gründen 2024 anstrengen müssen. Zum einen wird ihm Piastri noch näher rücken, zum anderen muss Norris endlich beweisen, dass er auch Rennen gewinnen kann. Dass er extrem schnell ist und im Zweikampf überaus klug agiert, muss man nicht mehr erwähnen. Aber er leistet sich immer noch zu viele Fehler in entscheidenden Situationen und man hat den Eindruck, dass es ihm in entscheidenden Momenten oft an Selbstbewusstsein fehlt. Es scheint fast so, als ob er manchmal zu viel nachdenkt, anstatt den Killerinstinkt anzuschalten.
Manche Piloten sind mit diesem Instinkt geboren. Senna, Schumacher, Alonso, Verstappen. Aber es gibt auch andere Beispiele von Fahrern, die sich damit schwertaten und trotzdem erfolgreich waren. Jenson Button fällt einem da ein, aber auch in einem gewissen Rahmen Alain Prost, der sein Risiko immer kalkulierte. Aber es gab auch andere Beispiele wie David Coulthard, Felippe Massa oder Rubens Barichello – alle sehr schnell auf ihre Art und Weise, alle aber auch mit Problemen, wenn es um die Aktivierung der letzten paar Prozent ging. 2024 könnte ein Jahr sein, in dem sich zeigt, ob Norris seinen Kopf so hinbekommt, dass er das schafft. Das Zeug dazu hat er auf jeden Fall.
Bilder: Pirelli