Gegen Red Bull einen zweiten Platz in der WM einzufahren klingt nicht so schlecht. Doch Mercedes war derart chancenlos, dass es schmerzt.
Der Fehler war schon bei den Tests offensichtlich. Etwas überraschend hatte Mercedes über den Winter am „Zero Sidepod“ Konzept festgehalten, obwohl die Fahrer auf die Mängel am Konzept hingewiesen hatten. Doch schon vor dem ersten Rennen warf man mehr oder weniger das Handtuch. Das Chassis sei nicht konkurrenzfähig, man würde umbauen, so Toto Wolff noch im März. Die folgenden Updates verbesserten das Auto, aber nicht in dem Maße, dass man eine Chance gehabt hätte.
Es ist ja grundsätzlich nicht schlecht, wenn man eigene Wege geht, auch wenn das ein Risiko bedeutet. Offenbar war man bei Mercedes felsenfest davon überzeugt, dass man auf dem richtigen Weg ist. Die Daten, so die Ingenieure, zeigten eindeutig, dass man mit den nicht vorhandenen Seitenkästen einen deutlichen Vorteil haben würde. Das mag sogar stimmen, aber es war halt nicht so gut, wie das, was Adrian Newey entwickelt hatte. Das hätte man schon im letzten Jahr sehen können und ich frage mich, warum man so stur am Konzept festgehalten hat.
Es erinnert mich ein wenig an den Tyrell P34. Die Idee von Derek Gardner vorn nicht zwei, sondern vier Räder zu installieren, die kleiner sind und damit den Luftwiderstand reduzieren, war auf dem Papier super. Denn die kleineren Reifen bedeuteten auch, dass man mehr Abtrieb auf dem Frontflügel holen konnte. Doch das Konzept hatte zwei entscheidende Nachteile. Das Gewicht vorne war aufgrund der doppelten Aufhängung sehr hoch und Goodyear hatte wenig Lust Geld in die Entwicklung von Reifen zu stecken, die nur von einem Team genutzt werden konnten. Dass man dennoch ein weiteres Jahr am P34 festgehalten hat, war einer der Gründe, warum das Tyrell Team seinen Platz an der Spitze endgültig verlor.
Vielleicht sitzt der Geist von Derek Gardner ja noch bei Mercedes fest, die in einer langen Linie ja die so was wie die Neubesitzer von Tyrell sind. Jedenfalls half die Sturheit am Konzept festzuhalten dem Team nicht. Immerhin waren sie nicht alleine, Ferrari erging es ja ähnlich. Einen Fehler zu machen ist eine Sache, stur daran festzuhalten etwas anderes. Immerhin konnte Mercedes den Schaden mit den Updates einigermaßen begrenzen.
Und das ist auch schon die positive Meldung aus diesem Jahr. Die Updates am Auto passten. Was zeigt, dass die Entwicklungsabteilung nicht komplett daneben liegt und die CFD und Windkanaldaten keine Unterschiede zur Strecke haben. Es zeigt auch, dass das Konzept der Seitenkästen zwar funktionierte (zumindest nachdem man das Hüpfen im Griff hatte), aber nicht gut genug war. Das gibt dann die Hoffnung, dass man in der Lage sein wird für 2024 ein Auto zu bauen, dass nach dem Red Bull Konzept funktioniert und mit dem man wieder um Siege fahren kann.
Der zweite Platz, den man am Ende in der Team-WM erreichte, ist schmeichelhaft. Mercedes hat kein einziges Rennen gewonnen. Dass man dort lag, hat man zum einen der schwachen Saison von Ferrari zu verdanken, aber auch dem schwachen Start von McLaren und den Problemen von Aston zur Mitte der Saison. Aus der Perspektive betrachtet hatte Mercedes die stabilere Saison von allen Verfolgerteams. Zufrieden kann man damit aber nicht sein und man kommuniziert auch offen, dass man das nicht ist.
Die Fehlentscheidung hatte auch personelle Konsequenzen. CTO Mike Elliott, der das Konzept befürwortet hatte, musste gehen. Mercedes reaktivierte James Allison, der relativ unverhohlen das Auto kritisierte und jetzt beweisen muss, dass er es besser kann. Das wird keine leichte Aufgabe.
Denn während Red Bull schon seit zwei Jahren mit dem Abtriebs-Konzept Erfahrungen hat, startet Mercedes erst im neuen Jahr. Alleine die Setups zu finden dürfte etwas dauern. Auch Red Bull hatte damit 2022 Probleme und selbst 2023 lag man mal daneben (Singapur). Da Red Bull das Auto seit dem Sommer praktisch unverändert gefahren ist, kann man davon ausgehen, dass man seitdem am RB 20 sitzt. Zwar hat Red Bull weniger CFD- und Windkanalzeit, aber Mercedes verliert auch etwas Entwicklungszeit, da man halt in diesem Jahr einen Platz besser abgeschnitten hat, als 2022. Entwicklungszeit ist also knapp, was keine guten Nachrichten sind.
Dass man in diesem Jahr nicht mal ein Rennen gewinnen konnte, ist schmerzhaft. Die besten Aussichten hatte noch George Russell in Singapur, aber dann unterlief ihm ein Flüchtigkeitsfehler und er beendete das Rennen in der Mauer. Hamilton hatte in Austin gute Aussichten, da auch die Strategie passte. Aber das war es dann auch. Man konnte froh sein, wenn das Auto sich nicht von seiner mysteriösen Seite zeigte und gar nicht funktionierte. Was oft genug passierte.
Ein vernünftiges Setup für ein Wochenende zu finden, glich einer Lotterie. Mick Schumacher leistete im Simulator nächtliche Überstunden, damit Mercedes an den Samstagen ein halbwegs vernünftiges Auto hatte. Die Fahrer bezeichneten das Auto als „spitz“, mit wenig Spielraum im Grenzbereich. Ein paar Millimeter Änderungen beim Federweg, ein paar Zehntelgrade bei der Aufhängung – all das veränderte die Charakteristik des Autos teilweise grundlegend. Es dauerte ein ganzes Jahr, bis Mercedes die Grenzen des Konzeptes vollumfänglich verstanden hatte.
Die Fahrer hatten wenig Raum zu glänzen. Lewis Hamilton wirkte oft leicht verzweifelt und seine Laune verbesserte sich zum Ende der Saison. Teils, weil das Auto wirklich etwas besser wurde, aber vor allem, weil er wusste, dass er den W14 nie mehr würde fahren müssen. Er hätte wohl wenig dagegen gehabt, wenn er das Auto nach dem Rennen in Abu Dhabi im Hafen versenkt hätte. Das erledigte dann allerdings Russell, der bei den Tests das Auto zerlegte.
Die Saison von Hamilton ist schwer einzuschätzen, weil er mit stumpfen Waffen kämpfte, aber er legte einige gute Rennen hin. Bei George Russell fällt mir eine Einschätzung schon schwerer. Nicht nur wegen seines unnötigen Unfalls in Singapur. Generell war Russell erneut schwächer. 234 Punkte sammelte Hamilton ein, 175 waren es für Russell. Allerdings hatte Russell auch drei DNFs (einer selbst verschuldet). Hamilton kam einmal nicht ins Ziel (auch selbst verschuldet in Katar) und er hatte eine Disqualifikation in Austin.
Sicher, 2022 lag er vor dem siebenfachen Weltmeister, aber seine Entwicklung war in diesem Jahr nicht gerade positiv. Eigentlich hätte man erwarten sollen, dass Russell seinen Teamkollegen besser im Griff hat. Hatte er aber nicht. Was damit zu tun haben kann, dass Russell das Auto nicht lag. Oder damit, dass der deutlich ältere Hamilton eben doch noch (vor allem im Rennen) einen Tick schneller ist. In diesem Jahr war Russell zumindest eher eine gute Nummer Zwei, was die Nachwuchssorgen bei Mercedes verstärken wird.
2024 kann alles passieren. Vielleicht ist Mercedes an Red Bull dran, vielleicht fällt man hinter McLaren und Aston zurück, vielleicht sogar hinter Ferrari. Vielleicht kann man auch um die WM fahren. Ich würde mein Geld aber nicht darauf setzen.
Bilder: Pirelli