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GT World Challenge Europe Endurance Cup: Analyse Monza

von Nils Otterbein
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Die GT World Challenge zeigte am vergangenen Sonntag ein turbulentes, zum Teil wildes und unübersichtliches Rennen in Monza. Es war der vorletzte Saisonlauf im Endurance Cup und sollte als einer der Denkwürdigsten in die Geschichte der Rennserie eingehen.

Das Wochenende war im Vorfeld geprägt von einigen Änderungen der Fahrerbesatzungen. Grund war die Überschneidung mit dem IMSA-Rennen in Indianapolis. Da es eines der langen IMSA-Rennen mit allen Fahrzeugklassen war, hatte die Terminkollision einen weitaus höheren Einfluss, als wenn es eine Überschneidung mit einem der klassischen 160 Minuten Rennen der IMSA gegeben hätte. Beide Rennserien hatten ihre Kalender für 2024 schon sehr früh veröffentlicht, was eine Verhinderung der Terminkollision eigentlich möglich gemacht hätte. Die bemerkenswertesten Änderungen betrafen den AF Corse Ferrari #71, in dem Yifei Ye als Sieger des WEC-Rennens aus Austin erstmals antrat, den Schumacher CLRT Porsche, in dem Kevin Estre Laurin Heinrich ersetzte und den Rowe BMW #98, in dem Maxime Oosten Phillip Eng ersetzte. Insgesamt waren es zwölf Umbenennungen des üblichen Fahreraufgebots.

Qualifying

Bei recht kühlen, hochnebelartigen Bedingungen wurde die Qualifikation Sonntagfrüh um 9 Uhr gefahren. Von Q1 an konnte der AF Corse Ferrari #51 unangefochten zur Pole fahren, u.a. mit einem neuen Rundenrekord von Alessandro Pier Guidi neben den starken Zeiten von Alessio Rovera und Vincent Abril. Dahinter veränderten die durchschnittlichen Rundenzeiten der drei Segmente immer wieder die Reihenfolge, was dem Comtoyou Aston Martin als Tabellenführer die zweite Position brachte. Dahinter landeten die üblichen Verdächtigen mit dem Winward Mercedes #48, der WRT BMW #32, der Schumacher CLRT Porsche #22, der Iron Lynx Lamborghini #163 und der WRT BMW #46. Erwähnenswert war der Crash von Maxime Oosten im Rowe BMW, der nach der Ascari Schikane den M4 verlor, womit der Wagen nicht ins Rennen gehen konnte.

Rennen

Nach dem Rowe BMW in der Quali ereignete sich das nächste Drama eines der Topfavoriten in der Vorstartphase: Der AF Corse Ferrari #71 konnte das Rennen zunächst ebenfalls nicht aufnehmen, da er Rauchzeichen in der Installation Lap von sich gab. Das Auto ging anschließend nur mit Rundenrückstand ins Rennen.

Das Rennen stand unter besonderen Vorzeichen, da erstmals bei einem dreistündigen Rennen drei Pflichtstopps bei einer maximalen Stintlänge von 50 Minuten vorgeschrieben waren. Grund hierfür ist der hohe Spritverbrauch in Monza, der in Verbindung mit dem neuen Biosprit innerhalb der GTWC keine maximale Stintlänge von rund 60 Minuten zulassen würde. Ähnlich agierte 2021 die DTM in Monza, als dort das erste GT3-Rennen der DTM ausgetragen wurde. Damals kürzte man die Rennen um ein paar Minuten. Im Rennen sollte diese besondere Direktive einen massiven Einfluss auf strategische Überlegungen nehmen. Es sei so viel gesagt: Mitnichten war eine klassische Dreistopp-Strategie gewinnbringend!

Stint 1

Der Start erfolgte erwartbar turbulent mit einer Mischung unordentlicher Startformation, Abkürzen in der ersten Schikane und jede Menge fliegender Teile. Der Grund für eine SC-Phase war ein Crash in der zweiten Schikane unter Beteiligung von mindestens vier Autos, was weitere Ausfälle zur Folge hatte, unter anderem des Herbert Motorsport Porsches, des Lionspeed Porsches und einem der Kessel Ferraris. Auch in der ersten Schikane gab es eine Kollision zwischen Lucas Auer, Sheldon van der Linde und Mattia Drudi. Auer bekam hierfür anschließend eine Drive Through aufgebrummt.

Alessio Rovera konnte den zunächst dominanten Sonntag des AF Corse Ferrari #51 fortsetzen und das Feld nach dem Restart distanzieren. Hinter Ayhancan Güven im CLRT Porsche und Raffaele Marciello im WRT BMW konnte der Rutronik Porsche von Sven Müller das Tempo nicht ganz mitgehen und hielt die Konkurrenz etwas auf. Ansonsten beruhigte sich das Rennen spürbar während des ersten Stints. Nachdem der Winward Mercedes nach der Durchfahrtsstrafe zurückfiel, fiel das nächste Top-Auto aus den Spitzenpositionen raus. Mattia Drudi musste bei seinem Comtoyou Aston Martin ein Reset am Rand der Start-Ziel-Geraden durchführen und fiel bis auf die 40. Position zurück.

Alle nutzten in der Spitzengruppe die maximale Stintzeit aus, die aufgrund der SC-Phase von 50 auf 55 Minuten erhöht wurde. Ab diesem Zeitpunkt ergab sich ein bereinigtes Bild erst wieder am Rennende. Interessant waren nun die beiden WRT BMW #30 und #32. Beide kamen bereits in der ersten Runde zu einem Notstopp. In der SC-Phase wurde z.B. bei der #32 kurzzeitig ein Fahrerwechsel vorgenommen, um ihn kurz danach wieder auf den vorherigen Stand zu verändern. Was hier bei WRT ausgeheckt wurde, ahnte zu diesem Zeitpunkt niemand. Es sei aber gesagt: Es war an Genialität nicht zu überbieten! Ich (als selbsternannter Hobbystratege) hätte da zu gerne mal ein Blick in die Excel-Tabelle geworfen!

Stint 2

Bereinigt blieb der AF Corse Ferrari von Abril ohne Fahrerwechsel in Führung. Rossi übernahm von Marciello die #46 und kam auf die zweite Position, während dahinter Kevin Estre den Schumacher CLRT Porsche übernahm. Diese (bereinigten) Top3 konnten sich manifestieren, da auch Niederhauser im Rutronik Porsche die Pace nicht ganz mitgehen konnte. Nach rund 75 Minuten begann das Rennen eine Wende zu nehmen. Zunächst vergrub Kevin Estre seinen Porsche im Kiesbett der Variante Ascari, dann folgte eine FCY, nachdem der Garage 159 McLaren zwischen der ersten und zweiten Schikane am Streckenrand stand. Alle nutzten die recht lange FCY, um den regulär zweiten Stopp vorzuziehen. Eine weitere „Alternativstrategie“ wählte WRT bei der #46. Der M4 ging in dieser Phase gleich zwei Mal rein, um hier, ähnlich wie in der Startphase der #32, einen weiteren Fahrerwechsel unter neutralisierten Rennbedingungen vorzunehmen. Damit verlor die #46 zunächst an Track Position und fiel von der zweiten auf die fünfte Position zurück. Vorne war weiterhin Vincent Abril vor Patric Niederhauser, Dan Harper und Marco Mapelli.

Der Restart erfolge erst 75 Minuten vor Ende und es befanden sich aufgrund der unterschiedlichen Strategien viele Überrundete im Feld. Eine Pass-Around-Regel wie bei den 24 Stunden von Spa gibt es bei den regulären Endurance-Rennen nicht. Danach folgte eine weitere Neutralisation nach einer Kollision zwischen dem Grasser Lamborghini #19 und dem AF Corse Ferrari #52. Erst 58 Minuten vor Schluss wurde die SC-Phase, die auf eine ebenfalls recht lange FCY folgte, aufgehoben.

Stint 3

Damit war man nicht mehr weit von der Phase der letzten Stopps entfernt. Nachdem der Rutronik Porsche #96 eine Durchfahrtsstrafe bekam, da er zu schnell unter gelber Flagge fuhr, war ein weiterer Siegkandidat weg. Gleiches galt für den Rowe BMW #998, bei dem das Rad nach dem letzten Stopp nicht komplett festgezogen war und dieser zu einem Notstopp musste. Der AF Corse Ferrari #51 schien fehlerfrei dem Sieg entgegenzufahren.

Im letzten Stint dauerte es sehr lange, bis das wahre Bild deutlich wurde. Nachdem der WRT BMW von Valentino Rossi nach dem letzten Stopp die Box verließ und die Führung übernahm, brannte verständlicherweise großer Jubel auf. Zunächst schien es hier um die tatsächliche Führung zu gehen, auch wenn beide selbst 30 Minuten vor Ende außerhalb der Top10 fuhren. Nachdem sich Alessandro Pier Guidi zunächst den Winward Mercedes von Maro Engel schnappte, ging dieser anschließend an Valentino Rossi vorbei. Spätestens nach dem Manöver wurde allerdings deutlich, dass es sich hierbei gar nicht um die tatsächliche Spitze handelte!

Bis in die Schlussminuten hatten die beiden WRT BMW #32 und #30 aus dem Bronze-Cup die Führung inne. Damit benötigte es nur noch einen sehr kurzen letzten Stopp. Zwar gibt es per Reglement eine Mindesttankzeit. Diese ist jedoch so kurz, dass sie selbst bei einem kurzen Tankvorgang kaum zum Tragen kommt. Dreh- und Angelpunkt war die Tatsache, dass drei Stopps zur Pflicht gemacht wurden und damit ein Stopp ohne Tankvorgang vonstattenging. Dies ermöglichte den Strategen eine gewisse „Spielmasse“ an Taktik, um vor allem die beiden langen FCY-Phasen für kurze Stopps und gar Fahrerwechsel auszunutzen. Somit konnten die #32 und #30 einen weitaus kürzeren Stopp kurz vor Ende des Rennens unter Rennbedingungen abhalten, während die weitaus früheren Stopps des AF Corse Ferraris und des WRT BMW #46 ungleich länger gingen. Die Strategie ging ideal auf, da in der Schlussphase des Rennens keine weitere Neutralisation mehr erfolgte.

Damit war die Bahn frei für einen Gesamtsieg eines Autos aus dem Bronze Cup! Jens Klingmann konnte den WRT BMW #30 mit geringem Vorsprung nach Hause fahren. Alessandro Pier Guidi gab mit frischen Reifen nochmal alles, musste aber den WRT BMW #32 von Dries Vanthoor nach dem Überholmanöver für die zweite Position wieder vorbeilassen, da er die erste Schikane abkürzte. Immerhin reichte es noch für ein Podium. Die Blicke, insbesondere jene von Pier Guidi, erinnerten allerdings eher an den bitteren zweiten Gesamtrang bei den 24 Stunden von Spa. Irgendwie soll es mit dem Ferrari-Sieg einfach nicht klappen! Erneut hatte man das schnellste Auto über die Distanz, aber mit einer 7-Stopp-Strategie ausgetrickst zu werden, dürfte AF Corse nie für möglich gehalten haben. Dahinter konnte Ricardo Feller im Attempto Audi noch Valentino Rossi überholen, während der Boutsen VDS Mercedes mit u.a. Maxi Götz in einem völlig unauffälligen Rennen auf die sechste Position kam. Der Rowe BMW #991 bekam eine Zeitstrafe nach einer Kollision und wurde vom vierten auf den siebten Platz gestuft.

Ein wenig erinnerte der Ausgang an die Rowe-Taktik bei den 24 Stunden von Spa 2023 oder für F1-Nostalgiker an die 4-Stopp-Strategie von Michael Schumacher in Magny-Course 2004. Zurecht durfte sich der Chefstratege von WRT nach dem Rennen einige Schulterklopfer der Kollegen abholen! So viel proaktives Handeln und so wie viel vorausschauendes Denken haben zu diesem vollkommen verdienten Sieg geführt.

In den weiteren Klassen wurden recht klare Siege von zwei Mercedes-Teams eingefahren: Im Silver-Cup gewann Winward Racing mit Daan Arrow, Tanart Sathienthirakul und Colin Caresani auf einem sehr starken neunten Gesamtrang, die damit auch souverän die Führung in der Gesamtwertung innehaben. Im Gold-Cup musste man deutlich weiter hinten ins Feld gehen. Hier gewann der Haupt Mercedes mit Michele Beretta, Jusuf Owega und Arjun Maini. In dieser Klasse geht der Sainteloc Audi als klarer Tabellenführer in die Schlussphase. Im Bronze-Cup führt auch nach dem überraschenden Gesamtsieg des WRT BMW weiterhin der Sky Tempesta Ferrari, die als Team erneut die Wertung gewinnen könnten. Hier wird neben der Gesamtmeisterschaft in Dschiddah die engste Entscheidung erwartet.

In der besagten Gesamtwertung führt, unglaublich, aber wahr, immer noch der Comtoyou Aston Martin #7, trotz eines 24. Platz. Mit je drei Punkten liegen sie vor dem AF Corse Ferrari #51 und dem Attempto Audi #99. Es wird deutlich, wie wichtig die Intervall-Teilpunkte bei den 24 Stunden von Spa für die Gesamtwertung sind.

Das Finale steigt erwartbar spektakulär und „pompös“ mit einem sechsstündigen Finale am letzten November-Wochenende in Dschiddah. Der Sprint-Cup endet Mitte Oktober in Barcelona.

Bildquelle: gt-world-challenge-europe.com (https://www.gt-world-challenge-europe.com/gallery_meeting?filter_season_id=24&filter_meeting_id=216)

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