Die Formula E kehrt zurück nach London und läutet mit einem weiteren Doubleheader den Saison-Endspurt ein. Wer Champion wird, ist noch völlig offen – aber wie gut ist das wirklich?
Mercedes-Pilot Nyck de Vries äußerte sich etwas frustriert nach dem für sein Team komplett punktelosen Wochenende in New York. Eigentlich sei man ja gut aufgestellt, aber vor allem der Quali-Modus verhindere, dass man konstant an der Spitze fahre. Sein Team sah auch mehr eigene kleine Fehler, die zu den vielen schwachen Resultaten beitrugen. Aber in einem gewissen Rahmen kann ich den Frust des Niederländers nachvollziehen. Ich finde es tatsächlich auch mit zunehmender Saisondauer schwer, der Formula E zu folgen: allzu oft, wenn man meint, ein Muster in der Hackordnung der Teams erkannt zu haben, stellt sich das Bild am nächsten Wochenende wieder völlig anders dar.
Wer ist das stärkste Team, wer der stärkste Fahrer? Das ist wirklich schwer herauszulesen aus diesem Format, bei dem die Bestplatzierten der WM immer wieder auf staubiger Strecke wenig Chancen in der Quali haben. Es kommt teilweise einem Reverse Grid gleich. Die einzelnen Rennen sind dadurch oft unterhaltsam, aber über eine Saison die Besten zu identifizieren, was das eigentlich Ziel von Sport ist, finde ich wirklich schwierig. Man kann nur nach einiger maßen konstanten Leistungen suchen – wer kommt am häufigsten in die Punkte, in die Top 5? Ich hatte es in der letzten Vorschau ein Stück weit aufgeschlüsselt.
Seit der Saison 2018-19 nutzt die Formula E dieses Quali-Format. Und gleich die erste Saison war noch krasser als die aktuelle: erst im neunten von dreizehn Saisonrennen gab es den ersten Zweifach-Rennsieger, damals Jean-Eric Vergne. In 2019-20 schaffte es Antonio Felix da Costa trotz des Systems, in der stark Corona-beeinflussten Saison allen davon zu fahren. Aber nun zeigt sich wieder das stark durcheinander gewirbelte Bild, und ich muss sagen: ich habe bessere Erinnerungen an die frühen Saisons, als Buemi und di Grassi (2015-16 und 2016-17) oder di Grassi, Vergne und Bird (2017-18) sich über den Saisonverlauf spannende Kämpfe um den Titel lieferten. Das mag aber auch persönlicher Geschmack sein. Die FE wirbt auf Twitter mit dieser Unvorhersagbarkeit. Wahrscheinlich bin ich dann doch zu old-school.
Hinzu kommt für den äußeren Beobachter, dass bei der FE nach wie vor geizig mit technischen Informationen umgegangen wird. Das habe ich schon vor Jahren bemängelt. Gut, viel Spielraum für Weiterentwicklungen lassen die Regeln eh nicht. Aber während man zum Beispiel bei der Formel 1 vor dem Rennwochenende munter diskutieren kann, was wohl dieses oder jenes Update bringt und wer die Oberhand behalten wird, kann man sich bei der FE einfach immer nur überraschen lassen, wer das Setup gut erwischt. Je länger die Saison geht, desto anstrengender finde ich das. Mir persönlich fehlt da auf die Dauer ein wichtiges Element des Motorsports. Zumal man nun eine offizielle WM ist und auch sein möchte, für mich verträgt sich das auf lange Sicht schwer mit den stark beschränkten technischen Spielräumen.
Warum war BMW am Samstag in New York stark und schaffte mit Maximilian Günther den zweiten Saisonsieg? Ich habe keine Ahnung. Gutes Setup, Quali-Runde gut erwischt. Im Rennen hatte er etwas Glück, dass sich die beiden vor ihm fahrenden beharkten und er vorbeischlüpfen konnte. Es wäre möglicherweise ein BMW-Doppelsieg geworden, hätte nicht Jake Dennis in den letzten Runden bei der Verteidigung die Bande touchiert und seine Aufhängung demoliert. Am Sonntag waren beide Andretti-BMWs wieder in den Tiefen des Mittelfeldes verschollen, da wurde die Quali aber auch durch einen Regenschauer nochmal mehr zur Lotterie.
Anders als Mercedes, die mir in den ersten Events auch sehr stark schienen, haben es aber drei andere Teams geschafft, auch unter diesen schwierigen Bedingungen der Quali-Regularien (und auch der stark begrenzten Reifensätze) einigermaßen konstant Punkte zu sammeln. Dazu gehört vor allem mein zweites Favoriten-Team aus der frühen Saisonphase: Jaguar. Sam Bird führt nach seinem Sieg im zweiten New York-Lauf nun die Fahrer-WM an. Um nochmal an meine Aufstellung aus dem letzten Bericht anzuknüpfen: er schaffte es dreimal aufs Podium, zwei weitere Male in die Punkte – blieb aber auch sechsmal (also in mehr als 50% der Rennen!) punktelos. Neben Nyck de Vries ist er der einzige Pilot mit zwei Siegen. Aber de Vries hat außer den beiden Siegen nur zwei neunte Plätze vorzuweisen – das war’s an zählbaren Resultaten.
Rechnerisch kann unter diesen Bedingungen zwei Doubleheader-Events vor Schluss noch das gesamte Feld (!) den Titel holen: es sind noch 120 Punkte zu verteilen (einschließlich Boni), Bird kommt derzeit an der Spitze „nur“ auf 81. Realistisch würde ich die Top 6 noch als Titelaspiranten zählen, denn es wird – aufgrund der beschriebenen Umstände – niemandem gelingen, an beiden Wochenenden zu dominieren. Neben Bird sind das die beiden Techeetah-Piloten da Costa und Vergne (76 bzw. 68 Punkte), die beiden Virgin-Piloten Frijns und Cassidy (76 bzw. 70 Punkte) und Edoardo Mortara im Venturi-Mercedes mit 72 Punkten. Dass der Kunden-Mercedes vor den Werksautos steht, ist auch bemerkenswert, aber Mortara fährt eine starke Saison mit bereits drei Podien.
In dieser Konstellation geht es nun nach London. Da wurden in den ersten beiden FE-Saisons die Finalrennen ausgetragen, nun ist es das vorletzte Event vor dem Berlin ePrix. Gefahren wird auch nicht mehr im Battersea Park, das fanden Umweltschützer und Anwohner nicht so prickelnd. Stattdessen geht es aufs Messegelände ExCeL im Osten der britischen Metropole. Das Besondere an dem Kurs: er führt teilweise durch die große Messehalle, im Übrigen um diese herum. Ich bin sehr gespannt auf das Ergebnis. Ich befürchte, dass das ein Reinfall werden könnte, oder zumindest, dass es keiner der besseren Kurse der FE-Geschichte wird. Aber ich lasse mich auch gern eines Besseren belehren. Aber auch die Teams waren kritisch: so, wie der Kurs konzipiert ist, wäre ein Flat Out-Rennen ohne viel Rekuperationsbedarf zu befürchten. Veränderungen gegenüber einem früheren Entwurf scheinen mir aber eher marginal, nicht grundsätzlich zu sein.
Die Start/Ziel-Gerade ist ebenso wie die Boxengasse in der Halle. Als ersten Bremspunkt gibt es eine enge Links-Rechts-S-Kurve. Um ein paar Ecken geht es dann auf eine Rampe, die aus der Halle heraus und auf die Umfahrt führt. Auf der Lkw-Anlieferzone wurde eine Doppelhaarnadel eingerichtet, die hoffentlich nicht zu eng ist und als Überholpunkt funktioniert. Am Ende eines dann folgenden schnellen, aber eng wirkenden Bogens entlang der Docklands Light Railway (DLR) gibt es eine weitere, etwas offenere Haarnadel, in der auf der Außenbahn die Attack Mode Activation Zone zu finden sein wird. Mit ein paar weiteren Ecken und Schikanen geht es dann über eine Bergauf-Rampe wieder in die Halle hinein und zurück auf Start/Ziel.
Ich hoffe, die Strecke und einige Kurven sind nicht zu eng geraten. Die ersten auf Twitter zu sehenden Bilder (hier und hier) lassen mich aber zweifeln. Selbst wenn die Strecke renn- und sicherheitstechnisch funktioniert – atmosphärisch ist mir das bisher gesehene ein Graus. Aber die Organisatoren halten bestimmt ein paar Überraschungen zur Aufwertung bereit. Vielleicht gibt es Blinklichter und Trockeneis-Nebel an den Rampen und Hallenein- und -ausfahrten, wer weiß. Berlin lässt grüßen.
Das Spektakel ist selbstverständlich wieder live bei Sat 1 zu sehen, Start ist am Samstag um 16 Uhr und am Sonntag um 15 Uhr unserer Zeit. Achtung: Eurosport 2 ist diesmal nur mit Aufzeichnungen, jeweils ab 20:30 Uhr dabei, dies ist den am Wochenende beginnenden Olympischen Spielen geschuldet.
(Bilder: Formula E Media)