Im vergangenen Jahr stellte ich mir die Frage, wie ersetzbar der Motorsport in meinem Leben ist. Die Antwort war, nunja, deutlich: gar nicht. Zwar schummelten sich auch bei mir notgedrungen Pandemie-Hobbies (Sport, ugh) in den proppenvollen Alltag, doch ohne das wilde Gekreisel geht es nicht. Kontoauszüge und irritierte Kommentare von Freunden, Familie und Co. dokumentieren das gewohnt akkurat. Im April 2021 mutierte die eigentlich schon beantwortete Frage dann in eine neue, ein Stück weit perfidere Variante: Wie sehr kann und soll man den Rennsport noch lieben, wenn man beruflich mit ihm zu tun hat?
Das Wichtigste zuerst: Ich hoffe, es geht Euch gut. Obwohl wir dank Impfstoffen einen grandiosen Schritt nach vorne gemacht haben, war auch 2021 wieder ein hartes, für viele einsames Jahr. Natürlich sollen die Ereignisse nicht den folgenden Text bestimmen, doch es wäre falsch, die Realität komplett auszuklammern. Zwar ist und bleibt der Motorsport eine Art Parallelwelt – und soll es zu einem gewissen Teil bleiben – doch in diesem Jahr wurde wieder deutlich: Er formt sich aus seinen Menschen. Und viele davon werden sehr erleichtert sein, wenn die trübe 1 endlich einer hoffnungsvolleren 2 weicht. Ich denke da unter anderem an etliche, die von den Starkregen-Katastrophen betroffen waren. Durch die Lage des Nürburgrings war die Motorsport-Gemeinschaft ganz nah dran und packte dankenswerterweise fleißig an.
Mit einem Erdbeben beginnen und dann steigern
Sportlich gesehen startete das Jahr mit gleich mehreren Krachern. Kyle Larson gewann beispielsweise zum zweiten Mal die prestigeträchtige Schlammschlacht der Chili Bowl Nationals und legte damit die Basis für ein historisches, von seinem ersten Cup-Titel gekröntes Jahr. Ich möchte glauben, dass er so seine zweite Chance genutzt hat. Zu ehrlich wirken seine Bemühungen, sich selbst weiterzubilden und benachteiligten Menschen zu helfen. Allerdings sollte klar sein, dass der Prozess damit nicht abgeschlossen sein darf.
Für die Sportwagen-Szene waren derweil die 24 Stunden von Daytona der Beweis, dass es ein Fehler gewesen wäre, sich zu schnell in wonnige Gedanken an eine goldene Zukunft zu flüchten. Fünf DPi-Prototypen beendeten das gewohnt intensive Rennen in der Führungsrunde. Der Sieg ging schließlich an das Team von Wayne Taylor, das Acura seinen ersten Gesamterfolg als Marke schenkte. Beim zweiten Teil der inoffiziellen 36 Stunden von Florida schlug Cadillac in Sebring durch JDC-Miller MotorSports zurück. Die daran anschließende Saison blieb abwechslungsreich und bot einen robusten Meisterschaftskampf. Der DPi-Titel ging schlussendlich an die Truppe des Whelen-Cadillac.
Stichwort Meisterschaftskampf: Die zwei größten Geschichten des Jahres lieferten natürlich die Formel 1 und, zugegebenermaßen etwas abgestuft, die IndyCar. Und auch diese zwei begannen direkt mit dem ersten Rennwochenende. Die Königsklasse schuf in Bahrain mit einem bis zur letzten Runde andauernden Duell zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton quasi die Blaupause für das restliche Jahr. Im Barber Motorsports Park kam es ebenfalls zum ersten, wenn auch kürzeren, Kräftemessen zwischen dem späteren Meister Álex Palou und seinem großen Rivalen Patricio O’Ward. Der entscheidende Unterschied hier: Mit den beiden hat keiner gerechnet. Die Grundlage für ein außergewöhnliches Motorsport-Jahr war gelegt.
Früher war mehr Lametta
Keine Sorge: Hier folgen nun keine Saison-Chroniken. Doch die genannten Beispiele (natürlich boten viele weitere Serien starken Sport) zeigen gut, was wir eigentlich für ein Glück im zweiten Jahr der Pandemie hatten. So ist es fast schon ironisch, dass gerade die Highlight-Rennen eher in den Hintergrund rücken sollten und teils sogar als Enttäuschungen abgekanzelt wurden. Besonders die 24 Stunden von Le Mans bekamen trotz der – wie im Nachhinein rauskam – höchstdramatischen Probleme von Toyota und dem Toyota-esken Ausfall von WRT miese Kritiken. Die 24 Stunden auf dem Nürburgring wurden vorher mal wieder von schlechtem Wetter heimgesucht und glichen nach dem Restart eher einem Mathematik-Leistungskurs, welchen die „Streber“ von Manthey als Klassenbeste abschlossen. Michael McDowells Sieg beim Daytona 500 galt gar als unverdient und „random“. Ein Blick in seine Ergebnisse hätte gereicht, um die Superspeedway-Qualitäten des Ford-Fahrers zu erkennen. Und Monaco war halt Monaco, oder? Sei’s drum, denn wie schon der in diesem Jahr verstorbene Motorsport-Journalist Robin Miller so gerne schrieb: Race fans love to bitch!
Lobenswerte Ausnahmen sind hingegen der vierte Indy-500-Sieg von Hélio Castroneves, der so mit den Legenden A. J. Foyt, Al Unser und Rick Mears gleichzog, und die Schlussphase der 24 Stunden von Spa, die einen entfesselten Ferrari-Piloten Alessandro Pier Guidi sah. Im Zuge des traditionell-dramatischen Abschiedswolkenbruchs rang der Italiener die Konkurrenz von Audi nieder und ließ sein Team Iron Lynx jubeln. Bemerkenswert: Es war der erste Sieg eines nicht-deutschen Fabrikats seit dem Jahr 2009. Das Klischee, dass der Motorsport keine großen Geschichten mehr schreiben kann, war selten so falsch wie in diesem Jahr. Allerdings hätte zumindest ich auf die Ereignisse in Abu Dhabi verzichten können. Das, was zweifelsohne als „Shitshow Supreme“ begann, lässt Kindergarten-Streitigkeiten wie einen Diskurs nach dem Vorbild Adornos erscheinen. Die Kollegen aus dem Formel-1-Bereich waren nicht zu beneiden.
Im Sinne von Bob Jenkins
Und damit wäre ich auch bei der im Vorspann aufgeworfenen Frage angelangt. Wie Ihr sicher mitbekommen habt, helfe ich im Racingblog zwar weiter gerne aus, doch zu viel mehr als das und den üblichen Chat-Spam reicht die Zeit selten. Denn seit diesem Jahr darf ich mich als das schimpfen, was ich mangels Fahrkünste, Rechenfähigkeit und Kapital schon länger werden wollte: Motorsport-Journalist. So weit, so langweilig-selbstreferentiell. Direkt zu Jobbeginn fragte ich mich allerdings, ob die Faszination am Rennsport darunter leiden wird bzw. leiden muss. Die Antwort lautet (vielleicht auch zum Leidwesen meiner Kollegen): Es ist genauso schlimm wie zuvor, vielleicht auch schlimmer. Wenig überraschend haben nämlich nicht nur die Rennsport-Fans mächtig einen an der Waffel, sondern auch die Damen und Herren hinter, auf und unter den Kulissen. Das macht ihn so besonders, so anders und so zeitlos.
Auch in Zukunft möchte ich mir deswegen die privaten Rennreisen nicht nehmen lassen. Neben meinem liebgewonnenen Klassiker der Spa24h stand in diesem Jahr die Road Atlanta auf dem Plan. Obwohl der Georgia-Trip eher aus der Travel-Ban-Not heraus geboren war, kann ich den traditionellen Saisonhöhepunkt des IMSA Endurance Cup nur empfehlen. Die Mischung aus Americana und Le-Mans-Atmosphäre wird dem Renntitel überraschend gerecht. Warum der MX-5-Cup ein zehnstündiges Rahmenrennen hat, habe ich allerdings bis jetzt nicht verstanden.
Best wishes, warmest regards
Zum Abschluss sei wie immer noch ein Blick auf die Zukunft erlaubt, die trotz der Umstände so hoffnungsvoll wie wohl nie zuvor aussieht. Denn nahezu jede größere Serie führt ein neues Reglement ein, ist in der Vorbereitung dafür oder bringt erste Grundsätze auf den Weg. Die medienwirksamen Speerspitzen der technischen Verjüngungskur werden die boomende Formel 1 und die NASCAR sein. 2023 runden die neuen LMDh-Rennwagen nicht nur das dringend nötige Facelift der Prototypen-Szene ab, obendrauf feiern auch neue Supercar-V8-Krawallos, Indy-Hybrid-Motoren und etwas ambitioniertere Formel-E-Fahrzeuge ihr Renndebüt. Die GT3-Szene und auch die BTCC stecken hingegen schon länger in einem breit ausgelegten Wandlungsprozess. Dass man keine Angst vor Neuerungen haben muss, zeigt die britische Tourenwagen-Serie besonders gut. Die nun um Hybrid-Technik erweiterte Meisterschaft meldete ein volles Feld für 2022.
In diesem Sinne wünsche ich Euch einen guten Rutsch in ein gesundes und optimistisches Jahr 2022. Und in Sachen Gesundheit nicht vergessen: 3 for Dale!
Bilderquelle/Copyright: IMSA, IndyCar, Porsche