Mit der Formula E startet am Freitag (!) die erste FIA-Weltmeisterschaft in die Saison 2022. Vieles bleibt beim Alten in der letzten Gen2-Saison, aber Audi und BMW sind raus – zumindest als Werksteams.
Die Zeit der großen Automobilhersteller in der Formula E scheint sich schon wieder dem Ende zuzuneigen. BMW und Audi sind ausgestiegen, das amtierende Meister-Team Mercedes geht in seine dritte und letzte Saison in der Elektro-Serie. Sie haben alle mal die Formula E austesten wollen, die für überschaubares Budget ein bisschen grünes Marketing brachte, aber restlos überzeugt waren sie wohl nicht. Stattdessen zieht nun wieder das neue Le Mans Hypercar / LMDh-Reglement, und Volkswagen denkt bekanntlich über einen oder gar zwei F1-Einsätze nach.
Bekannte Technik…
Insofern ist es gut, dass die Serien-Macher immer einen Deckel auf der technischen Entwicklung gehalten haben, denn so kann die Serie auch mit kleinen Herstellern und Privatteams gut über die Runden kommen. Hätte man den großen Werken zum Beispiel grünes Licht für freie Batterie-Entwicklung gegeben, was eigentlich anfangs mal geplant war (und was ich von einem idealistischen Stadtpunkt auch gut und wichtig gefunden hätte), wäre das ganze wahrscheinlich längst implodiert. Porsche würde das gern sehen, aber da wird man vorsichtig sein und lieber nur Porsche vergrämen als mehrere kleinere Teams. Aktuell haben wir zunächst nur ein Team verloren, denn für Audi Sport Abt Schaeffler, die von Anfang an dabei waren, gibt es keinen Ersatz. Andretti macht ohne BMW-Werksunterstützung weiter und für Mercedes kommt nächstes Jahr Maserati. McLaren überlegt noch und will in diesem Frühjahr seine Entscheidung bekannt geben.
Ganz düster sieht die nähere Zukunft also nicht aus. Aber letztlich hat sich die Formula E in ihrer Nische eingerichtet. Trotz des 2021 neuen Status als FIA-Weltmeisterschaft, trotz bekannter Marken und Namen und oft spannender Rennen hat blieb der Durchbruch in den Mainstream der Serie immer verwehrt. Über die Zukunft von E-Mobilität und Motorsport hat Don Dahlmann zu Jahresbeginn einen Artikel geschrieben, die auch dies beleuchtet. Die FE stand zu Beginn schon einmal kurz vor dem Bankrott – dass sie heute stabil ist, wenn auch in überschaubarem Rahmen, ist schon eine starke Leistung. Dafür mussten aber eben manche Dinge auch kleiner gehalten werden und statt großer Sprünge das Risiko fein austarieren.
Als Kostensparmaßnahme wurde während der Pandemie so auch die technische Entwicklung noch über das normale Maß eingeschränkt: wir befinden uns im zweiten Jahr einer Homologationsperiode, in der die Teams nur einmal einen neuen Antriebsstrang bringen durften bzw. dürfen. Einige haben das zu Beginn der letzten Saison getan, andere im Laufe der Saison. Die kommende Saison bestreiten demnach aber alle Teams mit dem Technik-Paket, mit dem sie die Saison 2020-21 abgeschlossen haben. Grundlegende Änderungen des Kräfteverhältnisses sind damit nicht zu erwarten.
Es ist zudem das letzte Jahr der Gen2-Autos, denn der Start der nächsten Generation wurde um ein Jahr nach hinten verschoben. Für das letzte Jahr mit der alten Technik wird aber etwas mehr Leistung freigegeben: im Rennen dürfen 220 statt bisher 200 kW dauerhaft genutzt werden, im Attack Mode 250 statt 235 kW. Das ist ein kleiner Schritt, bevor mit den neuen Gen3-Autos ab 2023 ein größerer folgt: die sollen 350 kW abrufen können und damit auch die 200 Meilen pro Stunde (ca. 320 km/h) knacken können.
…neues Quali-Format
Für 2022 gibt es zudem einige Änderungen am sportlichen Reglement – und eine davon ist mir besonders wichtig: es wird ein neuer Quali-Modus eingeführt. Endlich vorbei ist die Zeit der kleinen Gruppen, die beinahe etwas wie ein Reverse Grid produzierten und viel künstliche Spannung in die Meisterschaft brachten, weil niemand sich dauerhaft gut qualifizieren konnte. Das sorgte für abwechslungsreiche Rennen und sehr viele verschiedene Sieger, aber in meinen Augen auch für eine Entwertung der Meisterschaft, weil es auch über den Verlauf einer Saison kaum möglich war, die Besten zu identifizieren (was für mich der Sinn von Sport ist). Um das zu verdeutlichen: am Ende der letzten Saison lagen 15 Piloten innerhalb der Punktedifferenz eines Rennsieges – es hätte nahezu jeder Meister werden können.
Das neue Quali-Format setzt auf ein K.O.-System und wird sicherlich auch Diskussionen auslösen, weil es für den Motorsport untypisch ist. Ich finde aber, die Formula E darf ein solches Experiment durchaus wagen und es scheint mir (zumindest in der Theorie) fairer und weniger künstlich als das alte System. Zunächst wird in zwei Gruppen jeweils ein Klassement ausgefahren. Die Top 4 jeder Gruppe gehen dann ins Viertelfinale und treten in Duellen gegeneinander an. Die Sieger gelangen ins Halbfinale, dessen Sieger tragen logischerweise das Finale um die Pole Position aus.
Die K.O.-Teilnehmer werden im Übrigen nach Runde und Rundenzeit sortiert, die übrigen Piloten stellen sich zum Rennstart nach dem Gruppenergebnis auf, wobei eine Gruppe die geraden Startplätze und eine die ungeraden füllt. Vorbei also die Zeit, in der man als Qualifier in Gruppe 1 auf schmutziger Strecke kaum eine Chance auf eine gute Startposition hatte.
Des Weiteren wurde das Safety Car-Reglement angepasst. Die bisher geltenden Abzüge im Energie-Budget für hinter dem Safety Car abgespulte Zeit führten am Valencia-Wochenende der letzten Saison zu einem nicht besonders schönen Bild, als mehrere Teams sich verkalkulierten und die Autos ausrollten bzw. nachträglich bestraft werden mussten. Statt der Abzüge sollen nun bei Gelbphasen (Safety Car oder Full Course Yellow) die Rennen verlängert werden, und zwar um 45 Sekunden je Minute unter Gelb (in den ersten 40 Renn-Minuten). Ziel ist weiterhin, dass die Fahrer auch trotz Neutralisierung mit der Energie haushalten müssen. Ob sich das neue System in der Praxis besser bewährt (d.h. auch für die Team-Strategen besser zu kalkulieren ist), wird sich zeigen.
Die Teams und Fahrer
Beginn wir den Blick auf das Feld mit den Team-Champions der Vorsaison: in einem wilden Jahr konnte sich Mercedes EQ ganz am Ende doch noch knapp durchsetzen. Den Fahrer-Titel gewann mit Nyck de Vries auch ein Mercedes-Pilot, und er bleibt auch an Bord, ebenso wie Stoffel Vandoorne, der eine durchwachsene Saison hatte. Das Team hat das Potential, beide Titel zu verteidigen. Für de Vries wird es auch darum gehen, sich für 2023 zu empfehlen, wenn sich Mercedes aus der Serie zurückzieht. Der Niederländer könnte durchaus noch F1-Ambitionen hegen.
Knapp geschlagen wurde im Vorjahr Jaguar TCS Racing, die nun noch den Mutterkonzern, die Tata-Gruppe, im Namen ergänzt haben. Sonst ändert sich nichts, auch hier bleibt mit Sam Bird und Mitch Evans ein starkes Duo bestehen. Bird, auch seit jeher in der FE am Start, hätte längst mal einen Titel verdient gehabt, vielleicht wird es ja in 2022 was…
Auch beim drittplatzierten Team des Vorjahres, DS Techeetah, bleibt alles beim Alten: Warum sollte man auch etwas ändern, wenn man mit Antonio Felix da Costa (Champion 2019-20) und Jean Eric-Vergne (Doppel-Champion 2017-18 und 2018-19) bereits drei Titel holen konnte? Letztes Jahr stach keiner von beiden besonders heraus, aber das heißt nicht, dass sie nicht dieses Jahr wieder um die Meisterschaft mit kämpfen könnten.
Bei Envision Racing ist Virgin raus, Envision hat das Team komplett übernommen. Man kann weiterhin den Audi-Antriebsstrang einsetzen, auch wenn das Werksteam selbst nicht mehr in der Serie antritt. Auch hier bleibt mit dem Fahrerduo Nick Cassidy / Robin Frijns alles beim Alten. Meisterschafts-Potential sehe ich hier im Vergleich zu den vorstehenden Teams eher nicht.
Auch ein anderes Team darf noch weiter die Antriebsstränge seinen ausgestiegenen Werks-Partners nutzen: Avalanche Andretti wird weiter von BMW angetrieben. Verloren hat man aber den bisherigen BMW-Werkspiloten Maximilian Günther. Neuer Teamkollege von Jake Dennis wird Andretti-Gewächs Oliver Askew, IndyLights-Champion von 2019. Der neue Partner Avalanche ist übrigens keine Untergrund-Gruppe, die den Planeten retten möchte (Sorry, ich hab im Lockdown das gute alte Final Fantasy VII gespielt), sondern ein – angeblich umweltfreundlicher – Blockchain-Dienstleister. „Avalanche is the fastest smart contracts platform in the blockchain industry, as measured by time-to-finality“ – ich habe keine Ahnung, was das bedeutet…
ROKiT Venturi Racing ist der Zufluchtsort für Lucas di Grassi, den früheren FE-Champion, der bisher durchgehend mit dem Audi-Team angetreten war. Nun hat er Mercedes-Technik im Rücken, Venturi bleibt weiterhin Kundenteam des deutschen Herstellers. Teamkollege von di Grassi ist Edoardo Mortara, der Vize-Meister des Vorjahres. Nimmt man seine Ergebnisse als Referenz, könnten wir hier mit di Grassi als Neuzugang und dem Mercedes-Paket einen neuen Titel-Challenger sehen.
Die letzte Saison des TAG Heuer Porsche-Teams war schwach, gemessen an dem, was man von Porsche üblicherweise erwarten darf. Andre Lotterer und Pascal Wehrlein bleiben als Fahrerduo – beide haben in der Serie schon mehrfach großes Potential gezeigt, aber es noch nie so richtig konsequent umsetzen können. Vielleicht schafft es ja einer von beiden in der neuen Saison erstmalig ganz oben aufs Siegerpodest.
Mahindra Racing war mal ein Siegerteam, hat aber in der Gen2-Ära den Anschluss verloren. Einen Sieg konnte man mit Alex Lynn im Vorjahr in London dennoch feiern, aber der Brite wechselt dieses Jahr in die IMSA-Sportwagen-Meisterschaft. Oliver Rowland kommt von Nissan neu hinzu, sein Teamkollege Alexander Sims geht in seine zweite Mahindra-Saison.
Nissan e.dams ist aus dem früheren Renault-Team hervorgegangen, das auch mal ein Sieger- und Meisterteam war. Lang ist es her, dass Sebastien Buemi mit diesem Team die Serie nahezu dominierte, und in der Gen2-Ära unter dem Nissan-Banner war man eher Mittelfeld-Team. Nun stößt mit Maximilian Günther ein neuer Pilot hinzu, der mit BMW-Andretti drei Siege holen konnte, aber noch keine ganze Saison zusammengebracht hat. Auch in diesem Team steckt also viel Potential für bessere Ergebnisse.
Einen Neuzugang aus der Formel 1 begrüßt das Team Dragon / Penske Autosport: Antonio Giovinazzi übernimmt das Cockpit, das sich im Vorjahr Nico Müller und Joel Eriksson teilten. Teamkollege Sergio Sette Camara bleibt an Bord. Nach fünf Jahren mit eigenen Antriebssträngen wird Dragon / Penske nun Kunde bei NIO 333 – ob damit bessere Ergebnisse in Sicht sind, ist zweifelhaft. Schöne wäre es natürlich für Giovinazzi, wenn er nach dem Serienwechsel nicht wieder mit unterlegenem Material im Hinterfeld unterwegs sein müsste…
Das chinesische Team NIO 333 stellte den ersten Champion der Serie, kommt aber seit Jahren nicht mehr richtig in die Gänge: drei Jahre in Folge waren sie nun das Schlusslicht der Teamwertung. Oliver Turvey ist seit 2015 für das Team am Start und bleibt auch dieses Jahr. Ergänzt wird das Team von Dan Ticktum, der aus der Formel 2 kommt. Ticktum kann sauschnell sein, weiß sich aber nicht immer richtig zu benehmen, weshalb er aus diversen Nachwuchs-Akademien geflogen ist und früh in seiner Junior-Karriere auch mal eine lange Sperre absitzen musste. Aber er hat in jedem Falle das Potential für den ein oder anderen Aufsehen erregenden Auftritt.
Testfahrten in Valencia
Die Vorsaison-Testfahren fanden wieder in Valencia auf der abgekürzten Variante des Circuito Ricardo Tormo statt, die auch im Vorjahr für ein Rennwochenende im Einsatz war. Allzu viel sollte man in Testfahrten bekanntlich nicht hineinlesen, aber in dem Bewusstsein, dass wir mit bekannter Technik-Ausstattung die neue Saison bestreiten, bestätigt das Schluss-Classement der schnellsten Runden das Kräfteverhältnis: Mortara im Venturi-Mercedes drehte in der fünften und letzten Session die insgesamt schnellste Runde, gefolgt von Vergne im DS Techeetah, Vandoorne im Mercedes und Mitch Evans im Jaguar. Nissan e.dams blieb im hinteren Mittelfeld, die Schlusslichter bildeten Dragon/Penske und NIO 333. Alice Powell, die Entwicklungsfahrerin von Envision Racing (und W Series-Vizemeisterin) durfte auch eine Session fahren, blieb damit aber am hinteren Ende.
Kalender mit drei neuen Events
Der Kalender setzt sich aus bekannten und neuen Austragungsorten zusammen und beinhaltet auch wieder eine ganze Reihe von Doubleheader-Events, sodass an zehn Wochenenden insgesamt 16 Rennen ausgetragen werden (vorbehaltlich Änderungen im Laufe der Saison, wer weiß schon, was 2022 Corona-technisch bringt). Die Corona-Joker-Rennen in Valencia und Puebla sind nicht erneut vorgesehen.
Von einer Winter-Serie hat sich die FE ja ohnehin über die letzten Jahre weg entwickelt, was ich weiterhin schade finde. Nun geht die Saison von Januar bis August, aber da in den ersten drei Monaten des Jahres nur zwei Events stattfinden (große Kalender-Lücken, auch so eine bekannte Unsitte…), ballt es sich doch wieder im Sommer, wenn alle Serien auf Hochtouren unterwegs sind.
28./29. Januar: Diriyah ePrix (Doubleheader)
12. Februar: Mexico City ePrix
9./10. April: Rome ePrix (Doubleheader)
30. April: Monaco ePrix
14./15. Mai: Berlin ePrix (Doubleheader)
4. Juni: Jakarta ePrix
5. Juli: Vancouver ePrix
16./17. Juli: New York ePrix (Doubleheader)
30./31. Juli: London ePrix (Doubleheader)
13./14. August: Seoul ePrix (Doubleheader)
Mit Jakarta und Seoul sind zwei Austragungsorte in Asien neu dazugekommen. Indonesien ist ein bisschen vom internationalen Motorsport-Radar verschwunden, ich kann mich noch an einige Rennen – unter anderem der A1GP-Serie – auf dem permanenten Kurs in Sentul erinnern. Und auf einem neuen Tilke-Semi-Stadtkurs im Ortsteil Lippo Village, der heute noch erkennbar ist, konnte die Serie damals nicht mehr antreten, weil die Saison abgebrochen werden musste.
Die FE wollte eigentlich schon vor zwei Jahren in Jakarta antreten und auf einem Kurs um das National-Denkmal fahren. Dazu kam es nicht, und als neue Location soll nun ein neuer semi-permanenter Kurs an der Küste der Javasee errichtet werden. So richtig im Sinne der Formula E-Philosophie dürfe das ja eigentlich nicht sein, freie Fläche am Meer frisch zu versiegeln. Da hätte man lieber den Lippo Village-Kurs wieder flott machen sollen…
Die Problematik unsinniger Strecken-Neubauten am Meer kennen wir auch aus Südkorea, die dortige ehemalige Formel 1-Strecke liegt auch brach. In Seoul, wo die Formula E eigentlich auch schon 2020 erstmals fahren wollte, soll der Kurs über das frühere Olympiagelände – und sogar durch das Stadion – führen.
Vancouver ist IndyCar-Veteranen noch gut bekannt, dort wurden von 1990 bis 2004 Formelrennen auf verschiedenen Straßenkurs-Konfigurationen rund um das Stadion BC Place und die Meeresbucht False Creek ausgetragen. Wir haben also drei durchaus interessante Neuzugänge im Kalender, die sogar etwas Motorsport-Geschichte vorzuweisen haben.
Vorschau Diriyah ePrix
Der Auftakt findet nun aber zunächst in der saudi-arabischen Wüste statt. Der Kurs im historischen Ort Ad Diriyah am Rande von Riad ist gegenüber dem Vorjahr unverändert. Er funktioniert auch recht gut für die FE-Rennen – im Vorjahr gab es aber auch einen heftigen, Unfall, bei dem Alex Lynn zum Glück glimpflich davon kam, auch wenn er zunächst ins Krankenhaus musste. Der skurrile Trailer für die neue Saison „erinnert“ daran und lässt mich etwas ratlos zurück. Ist wohl Geschmackssache…
Der Kurs in Diriyah bietet auf der einen Hälfte eine lange Gerade und zwei, drei Überholmöglichkeiten (eine richtig gute vor der Schikane, der Rest ist für Mutige), die andere Hälfte ist durch ein flüssiges, schnelles Kurven-Geschlängel zwischen den Mauern geprägt. Die Attack Moder-Aktivierungszone ist wie im Vorjahr im zweiten Teil der Schikane auf der Außenbahn; das funktionierte recht gut.
Die beiden Rennen finden am Freitag und am Samstag, jeweils abends unter Flutlicht, statt: beide Rennen starten um 18 Uhr. Live-Übertragungen gibt es in Deutschland bei Pro 7 und Eurosport 2, jeweils mit einer halben Stunden Vorlauf, da wird man dann sicherlich auch die Highlights aus der neu gestalteten Qualifikation zu sehen bekommen.
(Bilder: Formula E Media)