Nach zwei Wochen Training und Qualifikation findet also am nächsten Sonntag das „The Greatest Spectacle in Racing“ endlich statt. Die Tribünen waren die letzten Wochen schon gut gefüllt.
Im vergangenen Jahr musste lange gezittert werden, um das 33 Starter umfassende Feld überhaupt füllen zu können. Erst Anfang Mai konnte Dragon Speed, Cusick Motorsport mit Stefan Wilson am Steuer ein Paket für den 33. Wagen schnüren. Cusick Motorsport kooperiert in diesem Jahr mit Dreyer & Reinbold Racing. Stefan Wilson ist erneut der Pilot. Damit war das Feld frühzeitig gefüllt. Mitte April meldete dann Abel Motorsports einen Wagen mit R.C. Enerson als Fahrer an. Bei 34 Nennungen musste ein Team bereits nach dem Qualifying die Heimreise antreten. Das veränderte die Dynamik im gesamten Feld. Bei 33 Startern kann man sich fast ausschließlich auf den Rennspeed konzentrieren. Das Qualifying ist schön und gut, aber es nützt nichts, wenn man am Renntag wie ein Stein durchs Feld fällt. Mit einem richtigen Bump Day mussten sich die Teams mehr auf das Qualifying konzentrieren. Erst vor zwei Jahren musste selbst das Team Penske mit Will Power um den Einzug ins Qualifying zittern.
Strecke
Schon 1909 als der erste Indianapolis Motor Speedway eröffnet wurde, handelte es sich schon um ein 2,5 Meilen großes Oval. Auch einige Umbauten, wie zum Beispiel das Verlegen von Ziegelsteinen, die dem Oval den Namen Brickyard einbrachten, haben an der Grundkonfiguration nichts geändert. Die vier 90° Kurven mit einer Länge von jeweils 0,25 Meilen und einer Überhöhung von 9°12‘ werden durch zwei lange (0,625 Meilen) und zwei kurze Geraden (0,125 Meilen) verbunden. Das geringe Banking ist untypisch für ein US-Oval und sorgt für eine schwierige Abstimmung, da die IndyCar bei Durchschnittsgeschwindigkeiten von mehr als 230 mph (370 km/h) leicht nach außen rutschen. Eine Erhöhung des Abtriebs würde das Verhindern, aber den Topspeed vermindern. Gerade in der Qualifikation ist es ein diffiziles Spiel die richtige Einstellung zu finden.
Trainings
Der erste Trainingstag am Dienstag fiel komplett dem Regen zum Opfer. Am Mittwoch konnten die Teams dann ihre Arbeit aufnehmen. Wie schon in den letzten beiden Jahren gaben die Chip Ganassi Honda das Tempo vor. Mindestens zwei Piloten aus dem Quartett: Takuma Sato, Scott Dixon, Alex Palou und Vorjahressieger Marcus Ericsson waren in allen Trainingssitzungen immer weit vorne zu finden. Das war schon eine eindrucksvolle Demonstration der Stärke von Chip Ganassi Racing. Aber auch die Chevrolet-Teams waren nicht chancenlos. Für McLaren fuhren Pato O’Ward, Alexander Rossi und auch Tony Kanaan einige sehr gute Runden. Auch das Team Penske war näher an der Spitze als im Vorjahr. Eine positive Überraschung am ersten Tag war der dritte Platz von Santino Ferrucci. Der US-Amerikaner hat schon in den letzten Jahren bewiesen, dass er im IMS sehr gut zurechtkommt. Aber einen solchen Speed von einem A.J. Foyt-Chevrolet zu sehen, das hat es schon lange nicht mehr gegeben. Auch sein Rookie-Teamkollege Benjamin Pedersen konnte sich mit Platz 21 gut platzieren.
Nicht ganz so stark als Team präsentierte sich Andretti Autosport. Colton Herta war der einzige Fahrer des Teams, der sich die ganze Woche über in der Spitzengruppe halten konnte. Das kennen wir von diesem Team nicht. Allerdings muss man das Ergebnis etwas relativieren. Neben Marco Andretti ist der 23-jährige Colton Herta der erfahrenste Ovalpilot im Team. Kyle Kirkwood, Romain Grosjean und Devlin DeFrancesco haben zusammen nur eine Handvoll IndyCar-Ovalrennen bestritten. Am Ende des Feldes befanden sich wenig überraschend unerfahrene Teams und Fahrer wie Katherine Legge, Callum Ilott, RC Enerson und Stefan Wilson. Aber auch Graham Rahal, Christian Lundgaard und Jack Harvey fanden sich am Freitag außerhalb der Top 30 wieder und bei Rahal Lettermann Racing dürften die Alarmglocken geläutet haben.
Qualifikation
Samstag
Am ersten Qualifying-Tag gab es zwei Ziele zu erreichen: Die Top-Teams wollten in die Top-12, um am Sonntag eine Chance auf die Pole-Position zu haben. Das wichtigere Ziel war jedoch, unter die Top-30 zu kommen, denn nur diese waren sicher für das Rennen am Sonntag qualifiziert. Die Temperatur war etwas niedriger als an den Vortagen, aber es gab starken Rückenwind in Kurve 1. Das machte es besonders knifflig.
Nachdem jeder Fahrer seinen garantierten Versuch absolviert hatte, zeichnete sich bereits ein relativ klares Bild an der Spitze und am Ende ab: Chip Ganassi Racing und McLaren waren sehr stark und hatten jeweils vier Autos in den Top-12. Bester Außenseiter war Rinus VeeKay. Die schnellsten Runden fuhren Felix Rosenqvist vor Alexander Rossi und Alex Palou. Mit Santino Ferrucci und Benjamin Pedersen qualifizierten sich auch beide A.J. Foyt-Chevrolets relativ sicher in den Top-12. Den letzten Platz in den Top-12 mussten Team Penske, Andretti Autosport und Ed Carpenter unter sich ausmachen. Will Power fuhr im zweiten Versuch auf Platz 12. Ed Carpenter verpasste diese Zeit nur knapp, schob sich aber vor Scott McLaughlin. Kyle Kirkwood war ebenso chancenlos wie Romain Grosjean (Startplatz 19) und Colton Herta (Startplatz 21). Josef Newgarden ließ sogar seine Zeit aus dem ersten Versuch streichen, um noch eine Chance auf die Top-12 zu haben. Doch es reichte nur zu Startplatz 17.
Den schnellsten RLL-Honda fuhr Katherine Legge. Hinter ihr lagen nicht nur ihre drei Teamkollegen, Callum Illot und Sting Ray Robb, sondern mit David Malukas auch mindestens ein Fahrer, der deutlich schneller hätte sein müssen. Der Startplatz für die einzige Frau im Feld war also noch nicht sicher. So war es dann auch David Malukas, der sich als erster souverän auf Platz 23 ins Feld fuhr. Auch Callum Illot verbesserte sich vor Katherine Legge. Vor allem Graham Rahal versuchte alles, um doch noch in die Startaufstellung zu kommen. Er ließ sogar sein Auto auf genau das gleiche Setup wie das von Katherine Legge umbauen. Trotzdem fehlte ihm im Schnitt mehr als 1 mph auf seine Teamkollegin. Am Ende qualifizierte sich Legge als 30. sicher im Feld, während ihre drei Teamkollegen am Sonntag gegen Sting Ray Robb um die letzten drei Startplätze kämpfen mussten.
Sonntag
Top-12, Fast-6
Der erste Teil der Qualifikation am Sonntag brachte zwei Überraschungen. Santino Ferrucci und Rinus VeeKay zogen auf den Plätzen 2 und 3 souverän in das Fast-6 ein. Schnellster Pilot war erneut Felix Rosenqvist. Auch Alex Palou, Scott Dixon und Pato O’Ward schafften den Sprung in das letzte Qualifying-Segment. Alexander Rossi, Takuma Sato und Tony Kanaan bilden die dritte Startreihe vor Marcus Ericsson, Benjamin Pedersen und Will Power. Pato O’Ward hatte den ersten Versuch in der Fast-6. Er fuhr 233,158 mph. Scott Dixon verfehlte diese Marke um 0,007 mph. Dann schlug Chip Ganassi Racing zurück. Mit 234,217 mph setzte sich Alex Palou an die Spitze. Damit war er schneller als Scott Dixon bei seinem Rekord im Vorjahr. Rinus VeeKay kam nicht ganz an Palou heran. Ihm fehlten nur 0,007 mph zum neuen Rekord. Damit startet der Niederländer auch bei seinem vierten Start in den Top-4. Gegen Palou und VeeKay hatte Santino Ferrucci keine Chance. Seine 233,158 mph reichten aber vorerst für Platz 3. Als letzter Fahrer versuchte Felix Rosenqvist Palou von der Pole Position zu verdrängen. Seine erste Runde war langsamer als die von Palou. Doch der Rundenverlust des McLaren-Chevrolet war geringer als der des Ganassi-Honda und so hatte Rosenqvist vor der vierten Runde noch eine Chance. Am Ende fehlten ihm 0,103 mph auf Palou und er schob sich vor Ferrucci auf Platz 3. Für Chip Ganassi Racing war es die dritte Pole Position beim Indy 500 in Folge. Das letzte Team, dem dies gelang, war Penske von 1988 bis 1991.
Last-Chance
Christian Lundgaard startete als erster Fahrer seine vier fliegenden Runden. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 229,649 mph war er 1 mph langsamer als bei seinem besten Versuch am Samstag und 2 mph langsamer als Katherine Legge. Bei deutlich höheren Asphalttemperaturen konnte man den Lauf aber noch nicht wirklich einordnen. Sting Ray Robb war dann bei seinem Versuch 0,1 mph langsamer als Lundgaard. Das war für den Dale Coyne-Piloten aber gar nicht so schlecht. Schließlich war Lundgaard am Samstag schneller als Jack Harvey und Graham Rahal. So war es auch am Sonntag. Jack Harvey schaffte nur 228,477 mph und auch Graham Rahal blieb mit 229,159 mph hinter Sting Ray Robb zurück.
Für RLL-Racing war das eine sehr schwierige Situation. Realistisch gesehen hatten sie nur noch einen Versuch pro Fahrer. Im Idealfall wäre Jack Harvey so spät rausgekommen, dass der Gegner keine Chance mehr gehabt hätte. Mit einem Teamkollegen und dazu noch dem Sohn des Teamchefs war das keine Option. Mit 10 Minuten auf der Uhr verließ Harvey die Box. Mit 228,929 mph war er nur knapp langsamer als Rahal. Zurück in der Box wurde noch eine Kleinigkeit am Auto geändert, neue Reifen aufgezogen und das Auto wieder rausgeschickt. Man hatte nichts mehr zu verlieren. Die erste Runde beendete er mit 229,435 mph. Das war auch das Niveau von Rahal. Die zweite Runde war mit 229,082 mph zu langsam. Da die Runden in der Regel immer langsamer werden, war damit die Geschwindigkeit von Graham Rahal eigentlich nicht mehr zu erreichen. Jack Harvey legte noch einmal zu und beendete die dritte Runde mit 229,176 mph. Die vierte Runde musste die Entscheidung bringen. Die 228,971 mph bedeuteten dann einen Vierrundendurchschnitt von 229,166 mph und damit war Jack Harvey 0,007 mph schneller als Graham Rahal. Genau 30 Jahre nach seinem Vater Bobby verpasste auch Graham Rahal die Qualifikation für ein Indy-500.
Das änderte sich am Montag. Beim ersten Crash des Monats fuhr Katherine Legge auf das Auto von Stefan Wilson auf und beide landeten in der Mauer. Während Legge unverletzt aus dem Wrack klettern konnte, wurde Wilson auf einer Trage zunächst ins Medical Centre und dann ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde ein gebrochener Wirbel diagnostiziert. Eine Besonderheit des Indy 500 ist, dass sich die Autos und nicht die Fahrer qualifizieren. Somit stand die #24 von Dreyer & Reinbold Racing ohne Fahrer im Feld. Als Ersatz fiel die Wahl schnell auf Graham Rahal. Auch die verschiedenen Motorenpartner (Rahal fährt Honda-Motoren, Dreyer & Reinbold Chevrolets) waren kein Hinderungsgrund. Das ist klar die bessere Option für das Team als zum Beispiel Sage Karam oder J.R. Hildebrand.
Favoriten
Es ist langweilig, aber zum dritten Mal in Folge kann ich hier nur Scott Dixon zitieren. Im Prinzip könnte ich hier den ganzen ersten Absatz von vor einem Jahr wiederholen. Ich beschränke mich aber auf zwei Sätze, die einfach immer noch 100%ig zutreffen: „Er hat den Speed, die Erfahrung und das Können, um Benzin zu sparen. Das Einzige, was ihm in den letzten Jahren gefehlt hat, war das Rennglück.“ Er hätte jedes der letzten drei Rennen gewinnen können. Irgendwann muss es wieder klappen und Scott Dixon seinen zweiten Indy-500-Sieg einfahren. Zwar war er in diesem Jahr nicht so dominant wie in den Vorjahren, aber das gesamte Team scheint noch stärker geworden zu sein. Dementsprechend kommt die größte Konkurrenz für Dixon aus dem eigenen Team. Marcus Ericsson gewann im vergangenen Jahr. Takuma Sato hat sich sogar schon zweimal in der Borg Warner Trophy verewigt. Nur Alex Palou ist beim Indy 500 noch sieglos und hat in diesem Jahr „nur“ einen zweiten Platz und eine Pole-Position zu Buche stehen. Ansonsten waren im Mai alle richtig schnell.
Im Chevrolet-Lager sind zweifellos in erster Linie die Arrow-McLaren zu nennen. Im Vorjahr waren Pato O’Ward und Felix Rosenqvist die einzigen Piloten, die den Ganassi-Hondas von Marcus Ericsson und Tony Kanaan am Ende Paroli bieten konnten. Mit Alexander Rossi, 2022 Fünfter, und eben Tony Kanaan haben wir jetzt noch mehr Qualität ins Team geholt. Wenn ich mir das Line-Up dieser beiden Teams anschaue, nur mit Blick auf das Indy 500, dann weiß ich nicht, wen ich von diesen acht Fahrern gegen einen der anderen 26 Fahrer eintauschen würde. Vielleicht Helio Castroneves? Vielleicht Will Power? Vielleicht Colton Herta? Würden sie anstelle von Tony Kanaan oder Takuma Sato die Chancen von Chip Ganassi Racing oder Arrow-McLaren wirklich erhöhen?
Auch Ed Carpenter Racing und A.J. Foyt Enterprises überzeugten im Qualifying. Bei ECR ist es fast schon Tradition, dass sie auch im Rennen sehr gut sind. Ed Carpenter, Conor Daly und Rinus VeeKay fuhren in den vergangenen Jahren viele Runden in der Spitzengruppe des Indy 500. Im Laufe des Rennens sind sie dann aber zurückgefallen. Entweder stimmte die Strategie nicht, sie wurden in Unfälle verwickelt oder ihnen ging der Speed aus, als die Top-Teams im letzten Renndrittel ernst machten. Natürlich ist zum Beispiel für Rinus VeeKay eine Top-Platzierung möglich, aber nicht so realistisch, wie es die Startposition vermuten lässt. Ganz anders sieht es bei Santino Ferrucci aus. Bei seinen bisherigen vier Starts kam er immer in die Top-10, startete aber noch nie aus den Top-15. Seine beste Platzierung war Platz 4 im Jahr 2020 für Dale Coyne Racing. Warum sollte er also nicht auch in diesem Jahr einen Foyt-Dallara in die Top-5 oder noch weiter nach vorne fahren?
Andretti Autosport und Team Penske sind die kleinen Sorgenkinder. Die Zeiten, in denen beide Teams die Trainings und dann auch die Rennen dominierten, sind schon einige Jahre vorbei. Trotzdem sollte man sie nicht vorschnell abschreiben. Im Renntrimm können sie vielleicht noch zulegen. Will Power zum Beispiel fuhr am Montag im Windschatten die schnellste Runde des Feldes. Außerdem zählt im Rennen nicht unbedingt der reine Speed auf eine Runde. Strategie, Reifenverschleiß und Benzinverbrauch spielen immer eine große Rolle. Wichtig ist, im letzten Rennviertel in einer guten Position zu sein und dann noch zulegen zu können. Genau das ist die Spezialität von Helio Castroneves. Die große Frage ist, ob die Meyer Shank Hondas den nötigen Speed haben. Sollte das der Fall sein, muss man natürlich auch Simon Pagenaud auf der Rechnung haben.
Zeitplan (local time, MEZ)
Freitag, 27. Mai
11:00 a.m. – 01:00 p.m. (17:00 – 19:00) – NTT IndyCar Series Practice (Carb-Day)
Sonntag,029. Mai
9:00 – 11:00 a.m. (15:00 – 17:00) – Pre-Race Show Peakock
11:00 a.m. (17:00) – Übertragungsbeginn NBC
11:45 p.m. (17:45) – Driver Introductions
12:38 p.m. (18:38) – Command to Start Engines
12:45 p.m. (18:45) – 107th Running of the Indianapolis 500 (200 laps); NBC, Sky live