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Sachstandsbericht Nachwuchsformeln: August 2024

F2 und F3 (Saisonfinale!) in Monza, Silly Season und die Relevanz der F2

von StefanTegethoff
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Die Sommerpause ist vorbei und für eine heiß umkämpfte Serie steht an diesem Wochenende direkt das Saisonfinale an: in der Formel 3 haben noch vier Piloten realistische Titelchancen! Außerdem hat die Silly Season gute Nachrichten für einige Nachwuchspiloten gebracht.

Beginnen wir damit: Ollie Bearman hat für 2025 bei Haas unterschreiben und wird damit nach einer bestenfalls durchwachsenen Formel 2-Saison ein F1-Cockpit bekommen; aktuell liegt er auf Platz 15 in der Meisterschaft. Sein Teamkollege Kimi Antonelli ist weiterhin oberster Anwärter auf das Hamilton-Cockpit beim Mercedes-Werksteam. Er ist immerhin Siebter in der Tabelle, was für eine Rookie, der die Formel 3 übersprungen hat, nicht schlecht ist. Und dann kam diese Woche die Meldung, dass Franco Colapinto für den Rest der Saison 2024 Logan Sargeant bei Williams ersetzt. Colapinto liegt ein paar Punkte vor Antonelli, ist also auch kein Überflieger.

Es wurde wegen dieser Transfers über den Sommer immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Formel 2 überhaupt noch relevant ist. Die letzten zwei Champions Felipe Drugovic und Theo Pourchaire, haben keine F1-Cockpits bekommen, ebenso wenig wurde der letztjährige Vize-Meister Frederik Vesti, der zum Mercedes-Nachwuchskader gehört, ernsthaft für die Hamilton-Nachfolge in Betracht gezogen. Das sieht alles nicht so gut aus für die Formel 2. Und die Serie hat auch eine Handvoll Probleme. Trotzdem würde ich nicht ihre Relevanz in Frage stellen, aber man sollte vielleicht mal an der einen oder anderen Stellschraube drehen…

Zum einen sind Formel 2 und Formel 3, die beiden Nachwuchsserien, die am stärksten im Fokus stehen, auch stark auf Entertainment ausgelegt. Insbesondere das Reverse Grid im Sprintrennen soll für Action und Abwechslung sorgen. Die Top Ten der Quali (Top 12 in der F3) starten in umgekehrter Reihenfolge. Das hat natürlich überhaupt keine sportliche Logik, es ist ein reines Gimmick. So gewinnen auch mal Piloten (oder stehen zumindest auf dem Podium), die das aus eigener Kraft nicht schaffen würden, aber eben „zufällig“ einen zehnten Platz in der Quali belegt haben. Je nach Strecke ist das Podium damit vielleicht schon garantiert. DRS und die Pirellis mit ihren speziellen Eigenschaften sind weitere verzerrende Faktoren. Im Hauptrennen mit dem Pflicht-Boxenstopp gibt es außerdem in er Regel zwei konkurrierende Strategien, die aber nur fair gegeneinander ausgespielt werden, wenn das Safety Car nicht zum Einsatz kommt. Auch hier sind schon vielen Fahrern aussichtsreiche Rennen verhagelt worden. Siege und Podien sind natürlich immer wichtige (und gut zählbare) Indikatoren, aber man muss letztlich gerade bei F2 und F3 etwas genauer hinschauen, um die wahre Leistung und Leistungsfähigkeit abzuschätzen. Und das tun die F1-Teams sicherlich.

Foto: Williams F1

Nimmt man die beiden wichtigsten Serien unterhalb der Formel 3, die aber kaum mediale Beachtung erfahren, so läuft es dort völlig anders: Weder in der italienischen Formel 4-Meisterschaft noch in der FRECA gibt es Reverse Grids, in der FRECA wird für jedes der beiden Rennen an einem Wochenende eine eigene Quali ausgefahren. Auch das Formel 1-DRS gibt es dort nicht. Die FRECA hat vor wenigen Jahren ein IndyCar-ähnliches Push-to-Pass-System eingeführt, was aber auch nicht am Abstand zum Vordermann hängt und somit mehr Chancengleichheit bietet. In den unteren Serien wird dafür sicherlich mehr privat getestet, sodass wieder Fahrer mit Geld oder Sponsoren Vorteile haben, aber das ist ein anderes Thema. Aber gerade wegen dieser Faktoren finde ich die Resultate aus einer guten F4-Serie oder der FRECA oft aussagekräftiger als einen F3- oder F2-Titel.

Und auf diesen unteren Ebenen werden ja bereits oft wichtige Entscheidungen getroffen, zum Beispiel über die Aufnahme eines Piloten in ein Nachwuchs-Programm. Dass Ollie Bearman und Kimi Antonelli eine sehr gute Chance auf die F1 haben würden, stand nahezu fest, nachdem sie beide jeweils in einer Saison die italienische und die ADAC F4 dominant gewonnen haben. Und Kimi Antonellis FRECA-Titel als Rookie rechne ich ihm sehr hoch an, weil sich Neulinge in dieser Serie im ersten Jahr erfahrungsgemäß sehr schwer tun und daher kaum einmal direkt in die F3 aufsteigen. Und so sehe ich auch Franco Colapinto seit Jahren als durchaus vielversprechend an: Er hat die spanische F4 (die stärker auf Gleichmacherei aus ist als die italienische) dominant gewonnen und in der FRECA als Rookie eine starke zweie Saisonhälfte gefahren, nachdem er sogar zwei der ersten drei Rennwochenenden verpasst hatte. Platz 6 und zwei Siege wirken zunächst nicht überragend, aber wenn man die Serie verfolgt, weiß man, dass das anders einzuordnen ist als in der F3 oder F2, wo man schneller mal ein Sprintrennen gewinnt.

Die andere verzerrende Komponente in der Formel 2 heißt Mecachrome. Das Unternehmen ist seit Ewigkeiten alleiniger Motorenlieferant der F2, denn es soll ja eine Einheitsserie sein, die von technischer Seite her Chancengleichheit bietet. Man hört aber immer wieder hier und da, dass es doch erhebliche Leistungs- und Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Motoren gibt, die die F2-Teams immer für eine Saison zugelost bekommen. So soll Callum Illott, der2020 die F2-Meisterschaft gegen Mick Schumacher verlor, leistungstechnisch mit einem Nachteil unterwegs gewesen sein. Über dieses Problem wird aber kaum gesprochen; Anfang der Saison beschwerte sich Pepe Marti über wiederholte Probleme mit seinem neuen Aggregat. Auch seinem Campos-Teamkollegen Isack Hadjar platzte in der Quali am Red Bull-Ring das Mecachrome-Aggregat. Dass der Motor – überspitzt gesagt – nicht viel taugt, hat sich einmal mehr gezeigt, als er in modifizierter Form im Alpine-Hypercar bei den 24h von Le Mans zum Einsatz kam: Nach wenigen Stunden waren beide Autos mit Motorschaden ausgeschieden.  Auf absehbare Zeit wird das Problem aber wohl bleiben, denn Mecachrome ist erstmal noch für einige Jahre alleiniger Motoren-Ausrüster.

Ja, die Formel 2 hat Probleme, aber sie ist eben auch nicht die einzige – vor allem nicht die einzige relevante – Nachwuchsserie auf der Formel-Leiter. Sie ist ein Indikator unter mehreren, natürlich immer der „frischeste“, um die Entwicklung eines Piloten zu beurteilen. Aber wichtige Weichenstellungen und das Knüpfen von Verbindungen passieren eben auch schon vorher und dadurch haben die potenziellen Arbeitgeber deutlich mehr Möglichkeiten der Beurteilung als nur die F2-Ergebnislisten. Wichtig sind diese für die Fahrer selbst aber dennoch, denn natürlich geht es auch stets um Superlizenz-Punkte, und davon gibt es in der F2 die meisten.

 

Formula 2

Kommen wir zum sportlichen Part: vor der Sommerpause waren innerhalb von fünf Wochenenden viermal F1, F2 und F3 zusammen am Start – und ich habe es leider nicht geschafft, in der Zeit zu berichten. Barcelona, Spielberg, Silverstone, Budapest und Spa standen auf dem Plan und die Meisterschaft hat über diese fünf Wochen die eine oder andere Wendung genommen.

Paul Arons Konstanz mit guten Punkte-Platzierungen hat nur bis Spielberg gehalten, wo er es im Sprint noch einmal aufs Podium schaffte. An den drei Wochenenden danach konnte der Este nur drei magere Pünktchen einfahren und hat die Meisterschaftsführung damit deutlich verloren. Sieglos ist er weiterhin. Die Führung hat Isack Hadjar übernommen, der auch noch um ein F1-Cockpit für 2025 kämpft. Gute fahrerische Leistungen haben ihn aufs Radar gebracht, sodass er im Sommer auch von Helmut Marko und Christian Horner zumindest erwähnt wurde. So richtig im Fokus scheint er aber nicht zu stehen, er scheint aber auch nicht der Typ mit dem einfachsten Temperament zu sein. Vier Siege (plus ein Beinahe-Sieg in Monaco) in den letzten acht Hauptrennen sind zweifellos stark!

Zwischen den beiden lauert weiterhin Gabriel Bortoleto, der für einen Rookie eine erstaunlich konstante Saison fährt – ähnlich wie Paul Aron, nur dass der Brasilianer im Hauptrennen am Red Bull-Ring auch seinen ersten Saisonsieg einfahren konnte. Über weite Strecke fährt er sehr fehlerarm, aber auch ihm unterläuft mal ein Patzer: in Barcelona räumte er seinen Teamkollegen Kush Maini (und sich selbst) ab, als der ihn zu überholen versuchte. Das sah nicht besonders gut aus.

Prema kann noch gewinnen! Auch wenn es inzwischen fast egal ist, aber sowohl Ollie Bearman (Sprint in Österreich) als auch Kimi Antonelli (Sprint in Silverstone und Hauptrennen in Budapest) haben inzwischen Siege holen können. Auch Alpine-Junior Victor Martins, den ich vor der Saison neben den beiden Prema-Piloten als einen Titelfavoriten angesehen hatte, konnte in einer völlig vertrackten Saison nun immerhin auch einen Sprint-Sieg einfahren.  Ob es bei diesen Teams an Problemen mit dem neuen Chassis liegt oder ob sie Nieten bei der Mecachrome-Lotterie gezogen haben, man weiß es nicht so genau.

Zu guter Letzt sind noch zwei personelle Wechsel anzusprechen. Da Franco Colapinto – sicherlich auch mit viel finanzieller Unterstützung aus Argentinien, wo er schon mit Messi verglichen wird – mit sofortiger Wirkung in die F1 aufsteigt, wird sein Platz bei MP Motorsport frei. Diesen bekommt Oliver Goethe, der somit vorzeitig aus der F3 aufsteigen darf. Damit sammelt der Red Bull-Junior schonmal einen Erfahrungsvorsprung für die Saison 2025. Und noch ein weiterer Pilot ist befördert bzw. berufen worden: Taylor Barnard, der in seiner F2-Rookie-Saison immerhin schon einmal siegen konnte, fährt ab dem Winter als Stammpilot für McLaren in der Formel E, nachdem er dieses Jahr schon zwei Events aushilfsweise bestritten hat. Sein Nachfolger bei AIX Racing wird der Niederländer Niels Koolen.  Den hätte ich nun überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt, da seine Resultate in F4 und FRECA (punkteloser 37. In 2023) nicht besonders vielversprechend waren, aber versuchen kann man es ja in der F2 mal, wenn das Geld da ist und man die Chance auf ein Cockpit bekommt.

Stand:

  1. Isack Hadjar (Campos, Red Bull Junior Team) – 165 Punkte
  2. Gabriel Bortoleto (Invicta Racing, McLaren Development Programme) – 129 Punkte
  3. Paul Aron (Hitech) – 124 Punkte
  4. Zane Maloney (Rodin, Sauber Academy) – 111 Punkte
  5. Jak Crawford (DAMS) – 100 Punkte
  6. Franco Colapinto (MP Motorsport, Williams Academy) – 96 Punkte
  7. Andrea Kimi Antonelli (Prema, Mercedes Academy) – 87 Punkte

Nächstes Event: Monza (30.08.-02.09.2024)

 

Formula 3

Die Formel 3 hat ebenfalls alle Rennwochenenden im Juni und Juli mitgenommen und ist damit nun schon wieder am Ende ihrer zehn Events umfassenden Saison angekommen. Nur Monza steht noch an, und auf dieser Klassiker-Strecke wird wieder einmal der Titel ausgefahren. Rechnerisch haben noch sieben Fahrer Chancen (abzüglich dem Siebten, Oliver Goethe, der in die F2 wechselt), realistisch können drei oder vielleicht vier Piloten den Titel erringen. Zwei davon kommen aus Italien, für sie wäre das sicherlich ein besonderes Erlebnis – und zwei fahren für Prema, das italienische F3-Top Team, dessen fünfter F3-Teamtitel in sechs Jahren bereits fest steht.

An die Spitze hat sich einer geschlichen, den ich dafür nicht auf der Rechnung hatte: Leonardo Fornaroli hat das Modell „sieglos, aber konstant“ nahe der Perfektion durchgezogen. Ein elfter und ein zwölfter Platz stehen als „schlechteste“ Saisonergebnisse zu Buche, ansonsten hat er immer gepunktet. Keine Ausfälle, vier Podien – jetzt noch einen Sieg in Monza obendrauf und er wäre ein verdienter Champion. Aber: Es wäre sein erster Sieg seit der F4 in Misano 2021, wo er Ollie Bearman schlagen konnte.

Gabriele Mini ist sowohl Italiener als auch Prema-Pilot, und ihm würde ich eigentlich die Favoriten-Rolle zusprechen. Allerdings hatten er an den letzten beiden Rennwochenden Probleme in der Quali: die Plätze 11 und 13 kosteten ihn im Titelkampf viele Punkte, auch wenn aus Platz 11 in Spa dank Reverse Grid ein Podium für den Alpine-Junior wurde. Kann er am Freitag Nervenstärke beweisen und sich in den Top 6 qualifizieren, wie schon sechs Mal in dieser Saison? Er muss nur einen Punkt mehr holen als Fornaroli, denn im direkten Vergleich hat er einen Sieg auf dem Konto.

Luke Browning hat keine Italien-Connection und kann somit nahezu unbeschwert ins Rennwochenende gehen – nein, nicht wirklich, denn mit nur sechs Punkten Rückstand kann er auch noch aus eigener Kraft den Titel holen, zum Beispiel mit Pole und Feature-Rennsieg, wie in Österreich. Der britische Williams-Junior hat nach seinem Macau-Sieg Ende 2023 eine starke Saison abgeliefert und wird hoffentlich 2025 ein F2-Cockpit bekommen, wie auch seine Konkurrenten um den Titel.

Arvid Lindblad ist der einzige Rookie im Kampf um den Titel – und zugleich der siegreichste Fahrer der Saison! Zudem kommt er direkt aus der F4 und hat die FRECA ausgelassen. Da zeichnet sich eine große Zukunft für den gerade 17 gewordenen Red Bull-Junior ab, egal, ob er nun diesen F3-Titel holt oder nicht. Mit 16 Punkten Rückstand ist er auf Fehler der anderen angewiesen. Ein Wochenende wie bei seinem Heimrennen in Silverstone, als er beide Läufe gewann, wäre ein Anfang…

Ferrari Academy-Mitglied Dino Beganovic (den ich stärker erwartet hatte) und Christian Mansell (der mich positiv überrascht hat) könnten rechnerisch noch eingreifen, wenn einer von beiden alles gewinnt und die Top 4 ausscheiden, aber die Chance darauf ist wohl eher gering. Wobei es in Monza ja manchmal wild zugeht… schon die Qualifikation sollte man sich nicht entgehen lassen, denn die Weichen für diese Titelentscheidung werden schon am Freitag gestellt!

Stand:

  1. Leonardo Fornaroli (Trident) – 129 Punkte
  2. Gabriele Mini (Prema, Alpine Academy) – 128 Punkte
  3. Luke Browning (Hitech, Williams Academy) – 123 Punkte
  4. Arvid Lindblad (Prema, Red Bull Junior Team) – 113 Punkte
  5. Dino Beganovic (Prema, Ferrari Driver Academy) – 100 Punkte
  6. Christan Mansell (ART Grand Prix) – 97 Punkte

Nächstes Event: Monza (30.08.-02.09.2024)

(Beitragsbild: Williams F1)

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