Bis Runde 30 war das Rennen in Katar eher zum Einschlafen. Das passierte offenbar auch der Rennleitung.
Das eine ist, was man sieht, das andere ist, wie es dazu gekommen ist, was man sieht. Das gilt auch für die Vorfälle, die im Hauptrennen am Wochenende passierten. Die von der FIA gestellte Rennleitung bekleckerte sich wirklich nicht Ruhm und auch die Stewards warteten mit merkwürdigen Entscheidungen auf, die das Rennen überschatteten und Fahrer und Teams teilweise ratlos zurückließen.
Bis zur Runde 30 verlief das Rennen eher unspektakulär. Verstappen hatte von P2 den Start gegen Russell gewonnen, der auch noch Norris passieren lassen musste. Danach gondelte man mit Respektabstand hintereinander her und wartete auf die anstehenden Boxenstopps. Doch dann verlor Alex Albon auf der Startgeraden seinen rechten Außenspiegel, der dann mitten auf der Strecke und somit auf der Überhol-, bzw Verteidigungslinie lag. So ein Spiegel ist keine Kleinigkeit und die Gefahr, dass ein Fahrzeug drüberfährt oder den Spiegel hochschleudert und in ein anderes Auto bugsiert, dementsprechend groß. Der Spiegel wurde von den TV-Kameras eingefangen und war für die Rennleitung klar sichtbar – doch außer einer gelben Flagge passierte nichts.
In Runde 35 bretterte dann Bottas über den Spiegel und verteilte dessen Einzelteile über die Strecke. Die nach ihm folgenden Fahrzeuge fuhren über die scharfkantigen Teile, wobei sich dann Sainz und Hamilton jeweils einen Reifen beschädigten. Erst dann wurde eine Safety-Car-Phase ausgerufen. Viel zu spät, wie viele fanden, und die Frage, warum man so lange gewartet hat, stellte sich schnell.
Es handelte sich offenbar um eine Fehleinschätzung der Rennleitung. So was kann passieren und passiert in jeder Serie. Doch in der Formel Eins gab es in diesem Jahr einige strittige Entscheidungen und dazu kommt eine ganze Menge an Hintergrundrauschen. Vor dem Rennen in Katar gab es zwei überraschende Entlassungen seitens der FIA. Nils Wittlich, seit 2022 einer der Rennleiter, wurde entlassen. Gründe? Unbekannt. Ebenso wurden aber Janette Tan und Tim Meyer entlassen. Tan war Rennleiterin in der F2 und genoss hohes Ansehen. Tim Meyer arbeitete seit mehr als 10 Jahren als Berater der Rennleitung und der FIA und wurde von den Fahrern wegen seiner reichhaltigen Erfahrung, die er auch in der IMSA und der IndyCar gesammelt hat, geschätzt. Beide Entlassungen wurden mit Befremden im Paddock wahrgenommen.
In Katar übernahm Rui Marques die Rennleitung, was erst mal kein Problem ist. Marques hat viel Erfahrung, auch als Rennleiter der Formel Eins. Aber da die FIA Janette Tan entlassen hatte, musste Marques auch die Rennleitung der F2 übernehmen. Was normalerweise nicht passiert und sehr viel Arbeit bedeutet. Warum Marques den auf der Strecke liegenden Spiegel nur mit einer gelben Flagge belegte, anstatt ein VSC auszurufen, damit ein Streckenposten das Teil wegräumen konnte, wurde nicht kommuniziert.
Das könnte man als verzeihbaren Lapsus oder Fehleinschätzung kommentieren, aber es gab noch weitere fragwürdige Entscheidungen in Katar. Die Erste stammte aus der Quali. Verstappen wurde die Pole aberkannt, nachdem sich Russell darüber beschwerte, dass Verstappen auf seiner Auslaufrunde zu langsam unterwegs gewesen sei. Die Stewards schlossen sich dem an, was ungewöhnlich war, denn Verstappen wurde nicht wegen der Behinderung eines anderen Fahrers bestraft, sondern nur, weil er zu langsam war.
Es ist richtig, dass das langsame Fahren vor oder nach einer schnellen Runde seit Langem in der Kritik steht. Es gibt Regeln, die das unterbinden. Man muss nicht nur eine Mindestzeit in einer Runde, sondern auch in einem Sektor einhalten. Aber die Strafe gegen Verstappen war schon etwas merkwürdig. Wie auch das Strafmaß. Er wurde um einen Platz nach hinten versetzt.
Im Rennen gab es dann zwei weitere Strafen, die fragwürdig waren. Norris bekam eine 10-Sekunden-Durchfahrtsstrafe wegen Missachtung einer gelben Flagge aufgrund des abgefallenen Spiegels. Dass Norris hier einen Fehler gemacht hat, darüber gibt es keine Diskussion. Auch wenn die gelbe Flagge an sich unnötig gewesen wäre, hätte man direkt eine VSC-Phase ausgerufen. Die Härte der Strafe ist aber merkwürdig. Es gab ein Trümmerteil, aber kein stehendes Auto oder auf der Strecke arbeitende Streckenposten. Warum dann so eine harte Strafe?
Auch Lewis Hamilton bekam eine Strafe. Erst, weil er einen Frühstart hinlegte, dann, weil er in der Boxengasse zu schnell war, als das SC wegen der Aufräumarbeiten durch die Boxengasse fuhr. Auch das ist korrekt, aber die Boxengasse war wegen der Durchfahrt eh geräumt. Eine abgemilderte Strafe hätte es auch getan.
Die Unzufriedenheit der Teams und der Fahrer mit FIA und wie sie die Regeln interpretiert, ist im Moment groß und es bahnt sich hinter den Kulissen ein Machtkampf an. FIA-Chef Mohammed Ben Sulayem hat sich in diesem Jahr wenig Freunde gemacht und die offenbar von ihm angestoßenen Entlassungen der Rennleiter kamen auch nicht gut an. Genauso wenig wie der Versuch, die Sprache der Fahrer zu kontrollieren und jedes „Fuck“ mit einer Geldstrafe zu belegen. Die Fahrergewerkschaft hatte sich Mitte November in einem offenen Brief klar gegen die Regelung gestellt, aber die FIA sah es bis heute nicht als nötig an, darauf zu reagieren.
Warum die FIA sich so aufführt? Mohammed Ben Sulayem scheint der Meinung zu sein, dass die FIA mehr Einfluss in der F1 haben sollte. Sagen die einen. Die anderen meinen, Sulayem ginge es mehr darum, selbst in der Presse zu sein. Aber die Tatsache, dass es in diesem Jahr eine Entlassungswelle bei der FIA gab und selbst die Complaince Chefin ging, deutet eher auf ein Führungsproblem hin. Das kommt dann wiederum bei Liberty Media nicht gut an. Die hätten gerne, dass man nach dem Rennen über das Rennen spricht und, wie hier, über das, was die Rennleiter entschieden haben oder was bei der FIA los ist.
Aber die Stimmung hinter den Kulissen ist nicht gut und köchelt seit einigen Monaten langsam hoch. Das sollte man für die nächsten Monate im Hinterkopf behalten.
Das Rennen selbst war nach der Unterbrechung deutlich besser. Der DRS-Zug war aufgebrochen und die Stopps würfelten das Feld teilweise durcheinander. Verstappen blieb vor Norris, aber Piastri musste seinen dritten Platz an Leclerc abtreten. Der McLaren-Pilot war eine Runde vor dem SC an die Box gekommen und damit der große Verlierer der Stopps. Norris fiel dann aufgrund seiner Strafe ans Ende des Feldes zurück.
Dafür etablierten sich zwei Namen in den Top Ten, die man sonst selten so weit vorne sieht. Pierre Gasly fuhr mal wieder ein grandioses Rennen. Er profitierte von der SC-Phase, da er als einer der Ersten an die Box kam und schob sich auf P5. Noch erstaunlicher war, dass sich Gasly mit dem Alpine vor Carlos Sainz halten konnte, der nach seinem Reifenschaden etwas zurückgefallen war. Der Ferrari-Pilot biss sich über 20 Runden lang die Zähne am Franzosen aus, der sich keinen Fehler leistete. Die erneut hohe Punkteausbeute hat Alpine mittlerweile auf den sechsten Platz in der Team-WM gebracht. Wer hätte das zu Beginn des Jahres gedacht?
Der andere Name: Zhou Guanyu. Der Sauber-Fahrer belegte am Ende den achten Platz in der Wertung und bescherte dem Team damit die ersten WM-Punkte in dieser Saison. Das Wochenende lief für Sauber auch tatsächlich mal gut. Beide Piloten schafften es in Q2, was für Sauber ja auch eher Seltenheit hat. Im Rennen lagen beide auch zeitweise in den Punkten. Bottas hatte etwas Pech, da er in der ersten Runde in eine leichte Kollision verwickelt war. Aber Zhou hielt sich aus allem raus und lag lange auf P11. Der Ausfall von Perez bugsierte ihn dann nach vorne, ebenso ein sehr guter Stopp der Sauber-Crew. Bemerkenswert, dass er mit dem Sauber im Rennen Kevin Magnussen hinter sich halten konnte.
Für Sauber sind das wichtige Punkte. Sie bleiben zwar letzter in der WM, aber die vier Punkte von Zhou bedeuten, dass sie überhaupt Geld bekommen. Für Audi eine willkommene Nachricht. Zudem hat man am Wochenende das schlecht gehütete Geheimnis gelüftet, dass ein Fonds aus Katar mit einer Minderheitsbeteiligung am Team weiteres Geld hineinbringt.
In der noch ausstehenden WM-Entscheidung bei den Konstrukteuren hat sich in Katar auch etwas bewegt. Eigentlich lag McLaren bis zur Unterbrechung gut vor Ferrari, doch am Ende drehte die Sache. Den wichtigen zweiten Platz verlor man aufgrund der schweren Strafe gegen Norris, der am Ende nur auf P10 ins Ziel kam. Da Leclerc vor Piastri ins Ziel kam, nahm Ferrari der Konkurrenz von McLaren Punkte ab. Vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi beträgt der Vorsprung der Briten 21 Punkte. Das ist durchaus ein brauchbares Polster, aber einholbar ist es auch.
Bei Mercedes scheint der Haussegen zwischen Hamilton und dem Team gerade etwas angeknackst zu sein. Der Brite hatte am Wochenende mal wieder Probleme und lag durchweg hinter seinem Teamkollegen. Auf die Frage, woran das liegen würde, meinte Hamilton am Samstag nur „Vielleicht bin ich einfach zu langsam geworden.“ Eine sarkastische Antwort, klar. Deutet aber darauf hin, dass nicht alles so rosig ist, zwischen Hamilton und Mercedes. Vermutlich hat man ihn aus bestimmten Meetings ausgeschlossen, damit er keine Informationen zu Ferrari mit nimmt. Vielleicht hat er aber auch die Wahrheit gesagt, wer weiß das schon.
Ein Lebenszeichen gab es auch von Aston Martin, die dank Fernando Alonso mal wieder Punkte sammeln konnten. Der Spanier beschwerte sich im Rennen allerdings mehrfach über sein langsames Auto und dass man dieses Problem schon seit zwei Jahren hat. Das hielt ihn nicht davon ab den siebten Platz einzufahren. Aber er wird die Ankunft von Adrian Newey sehnlichst erwarten.
Das letzte Rennen der Saison kommt dann am nächsten Wochenende.
Bilder: Pirelli