Die NASCAR ist 2017 schon etwas zeitiger als sonst aus dem Winterschlaf erwacht, denn es gab einige große Veränderungen abzuschließen und anzukündigen. Wir werfen wenige Stunden vor Beginn der Daytona Speedweeks noch einen schnellen Blick auf die neue Ausgangslage.
Wer die letzten zwei Monate unter einem Stein verbracht hat, wird nach der Lektüre dieses Artikels vielleicht nicht sicher sein, ob er noch dieselbe Rennserie verfolgt, die er 2016 zuletzt gesehen hat. Lediglich das technische Reglement ist kaum verändert worden, sodass wir in diesem Jahr immer noch mit brachialen V8-Monstern in die (mehrheitlich) Linkskurven starten. Der Heckspoiler und der Splitter sind allerdings mal wieder etwas kleiner geworden, das hatte man in der letzten Saison ja recht erfolgreich im Rennbetrieb getestet. Interessant ist vielleicht noch, dass das „Skewing“ – also das Schrägfahren der Autos per Abstimmung der Hinterachse, um mehr Sideforce zu generieren – durch die NASCAR verboten wurde.
An dieser Stelle hört der Wiedererkennungswert dann aber auch schon auf, denn selbst der Name des Kindes, über das wir hier reden, hat sich geändert. Die höchste NASCAR-Liga heißt nach dem Vertragsende mit Sprint und dem Einstieg eines neuen Sponsors nun „Monster Energy NASCAR Cup Series“. Immerhin können wir weiterhin vom „Cup“ sprechen, auch wenn die Position der Marke innerhalb der Bezeichnung etwas ungewohnt anmutet. Details zum Vertrag sind leider nicht so wirklich durchgesickert, allerdings wird kolportiert, dass Monster Energy wohl erheblich weniger bezahlen muss als Sprint und zudem eine kürzere Laufzeit ausgehandelt hat. Außerdem gibt es noch zu vermelden, dass die NASCAR ein neues Logo designt hat, welches sich allerdings nur farblich vom alten Emblem unterscheidet.
Weiter geht es mit einem kleinen Grundkurs zu den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen in der V8-Arithmetik, denn auch das Punktesystem hat die NASCAR nicht unverändert gelassen. In diesem Zuge kommen wir nicht umhin, auch das neue Rennformat durchzusprechen. Aufgrund der seit einigen Jahren rückläufigen Zuschauerzahlen sowohl vor Ort als auch am Fernsehapparat, entschloss man sich dazu, die gut dreistündigen Rennen mit Langstreckencharakter etwas an die Aufmerksamkeitsspanne des Durchschnittszuschauers anzupassen. Nachdem man das – in den USA übliche – Playoff-Format recht erfolgreich für den Motorsport adaptieren konnte, greift man nun die nächste Struktur bei den Ballsportarten ab und führt Segmente für alle Rennen ein.
Diese sind ja speziell aus den Einladungsrennen in Daytona und Charlotte nicht gänzlich unbekannt und haben sich meist als der Spannung zuträglich herausgestellt. Die Rennen der drei obersten Klassen (Cup, XFINITY & Trucks) werden ab 2017 in drei Segmente (Stages) eingeteilt, wobei die ersten beiden zusammengenommen etwas mehr als die erste Rennhälfte ausmachen werden. Das dritte Segment ermittelt den Rennsieger und kann als einziges mit einer Overtime-Regelung verlängert werden. Sollte es regnen, ist ein Rennen ab sofort nicht mehr zur Halbzeit, sondern nach dem Ende des zweiten Segments offiziell. Damit die Anfangsphase eines Rennens nun mehr Spannung bietet, hat sich NASCAR gemeinsam mit den Fahrern einen Anreiz überlegt.
Das bisherige System für Bonuspunkte wurde komplett über den Haufen geworfen. Es gibt nun anstatt für Führungsrunden zusätzliche Meisterschaftszähler für die Top-10 der ersten beiden Segmente – maximal zehn und abwärts abnehmend. Der Erste erhält also zehn Bonuspunkte und der Zehnte bekommt immerhin noch einen Extrazähler. Zusätzlich gibt es für jeden Segmentsieger Playoff-Punkte zu verdienen: am Ende der ersten beiden Stages jeweils einen und mit der schwarz-weiß-karierten Flagge weitere fünf, anstatt wie bisher nur drei. Diese Chase-Bonuszähler werden übrigens ab 2017 in jede weitere Eliminationsrunde in den Playoffs mitgenommen und nicht nur in die erste, was ich persönlich etwas befremdlich finde. Dann hätte man lieber die Punkte in jeder Runde nicht mehr zurücksetzen sollen, um Konstanz zu belohnen.
Zum Ende des dritten Segments – und damit dem Rennende – werden die regulären Punkte für die Meisterschaft verteilt: Der Sieger erhält 40, der Zweite nur noch 35 und dann geht es pro Rang immer einen Punkt abwärts, sodass die Plätze 36 bis 40 logischerweise nur noch jeweils einen Zähler bekommen können. Dominiert ein Fahrer das Rennen, ist er mit insgesamt 60 Punkten und 7 Chase-Zählern einen ordentlichen Sprung vor seinem Verfolger, der als Zweiter ja nur etwas mehr als halb so viele Punkte einfahren kann. Das erhöht natürlich zweifelsohne den Anreiz, auch mitten im Rennen etwas zu riskieren. Auf den Superspeedways hätte man das aber definitiv nicht einführen dürfen und ich warte nur auf die Big-Ones pünktlich zum Ende der Segmente 1 und 2.
Wer jetzt noch nicht komplett den Überblick verloren hat, dem sei ans Herz gelegt, dass es ab sofort einen offiziellen Regular-Series-Champion geben wird. Wer also nach 26 Rennen in den Punkten ganz oben steht, bekommt einen offiziellen NASCAR-Titel verliehen, der aber natürlich nicht so gewichtig zählt, wie der Cup-Titel am Ende des Tages in Miami. Der Regular-Series-Champion erhält 15 Playoff-Points mit in und durch den Chase, der Zweite immerhin noch 10, der Dritte 8 und dann immer einen Zähler abwärts bis zum Zehnten, der noch ein Pünktchen ergattert. Wow, da ist 2017 der Taschenrechner als Plicht-Accessoire auf der Couch bereitzuhalten. Für den durchschnittlichen Fan ist das vermutlich zu schwer zu verstehen, aber wenn dadurch die Rennen spannender werden – warum nicht? Die TV-Sender rechnen den Zuschauern die Punktesituation ohnehin laufend vor.
Als letzter Punkt des Modus Operandi sei noch erwähnt, dass in Zukunft während des Rennens bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Motor, Getriebe) nur noch im Pitstall im Rahmen der Möglichkeiten von Klebeband und Vorschlaghammer an der Karosserie und sicherheitsrelevanten Teilen gearbeitet werden darf. Das Auswechseln ganzer Kotflügel oder Aufhängungen in der Garage ist aus Sicherheitsgründen ab 2017 verboten, da man nicht durch eine spontane technische Abnahme die einwandfreie Anbringung und Arbeitsweise dieser Teile überprüfen kann. Wer also mit Blechschaden in die Garage fährt, für den ist das Rennen in Zukunft leider beendet. Gerade auf Shorttracks ist das natürlich ein nicht zu unterschätzender Bruch mit der Tradition und manchen Fans wohl nicht zu verkaufen.
Wenn im Zuge von Reparaturen im Pitstall mehr als die erlaubte Anzahl von Mechanikern am Fahrzeug arbeitet, bedeutet das eine sofortige Disqualifikation. Diese Praktik wurde in der Vergangenheit gerne genutzt, da man als Strafe nur ans Ende des Feldes zurückmusste, wo man nach einem Unfall ohnehin meist schon war. Apropos Strafen: Der Katalog P1 bis P6 wurde vereinfacht, es gibt ab 2017 nur noch zwei Kategorien. Die erste, leichtere bezieht sich grob auf fehlende Radmuttern und Verstöße gegen Abmessungen. Kategorie 2 sind schwere Verstöße, wie z. B. das Aufbohren von Motoren, Manipulationen an der Elektronik usw. Strafen liegen zwischen einem und sechs Rennen Sperre für den Crew-Chief, zehn bis 75 Punkten Abzug und einer saftigen Zahlung zwischen 25.000 und 200.000 US-Dollar. Leichte Verstöße werden in Zukunft direkt am jeweiligen Rennwochenende geahndet und z. B. mit Startplatzverlust oder abgezogener Trainingszeit geahndet.
In der Saisonvorschau befassen wir uns zuletzt mit den Fahrern und Teams: Grundsätzlich gibt es immer noch die Charter bzw. garantierte Startplätze, doch hier wurde wieder kräftig verkauft und geleast. Am Ende des Tages könnte ich einen kompletten Artikel mit der Silly-Season füllen, daher verweise ich hier auf eine gute Übersicht bei Wikipedia und fasse nur die wichtigen Punkte zusammen:
– Carl Edwards schockte wohl alle Beteiligten, als er kurzfristig seinen Rücktritt erklärte. Sein Nachfolger in der #19 wird nicht ganz unüberraschend XFINITY Series Champion Daniel Suárez. Möglicherweise wurde hier sogar eine Ablösesumme an Edwards bezahlt, aber das sind lediglich Gerüchte.
– Stewart-Haas Racing tritt ab 2017 mit Ford-Motoren von Roush-Yates an, was man bei der Ankündigung im letzten Jahr eher für einen Aprilscherz gehalten hatte. Durch die Loslösung von Hendrick Motorsports muss das Team nun aber auch die Autos selbst bauen. Da man aber 2016 schon besser drauf war als das Mutterteam, könnte das ein erfolgreicher Schritt gewesen sein.
– Erik Jones bekommt endlich eine vollständige Saison im Cup als Teamkollege von Martin Truex Jr. bei Furniture Row Racing. Das wird sehr spannend anzuschauen sein, was das Gibbs-Talent hier mit siegfähigem Material zeigen kann.
– Roush-Fenway Racing verkleinert nach dem Weggang von Greg Biffle auf nur noch zwei Autos, was im Rückblick auf die großen Jahre des Teams schon richtig schmerzt. Nicht mal für den Ford-Mann Chris Buescher – immerhin der einzige Chase-Teilnehmer dieser Truppe – konnte man Sponsoren finden. Buescher wird 2017 daher in einem zweiten Chevrolet von JTG-Daugherty Racing sitzen. Biffle hat bisher noch kein Cockpit für die neue Saison.
– Ansonsten: Ty Dillon bekommt seine Chance im Cup bei Germain Racing, wo er mit RCR-Material versorgt wird und Casey Mears ablöst. / Clint Bowyer ersetzt den zurückgetretenen Tony Stewart in der #14 bei Stewart-Haas Racing.