Nicht der Anzahl der Rennen nach, aber gefühlt beginnt an diesem Wochenende die zweite Saisonhälfte der ALMS im Miller Motorsports Park nahe Salt Lake City. Ex-F1-Prominenz ist dabei auch am Start.
Gefühlt deswegen, weil sich die Saison in ALMS und LMS am besten in eine Prä- und eine Post-Le Mans-Hälfte teilen lässt. Die europäische Le Mans Serie läuft nächste Woche mit vergleichsweise dünnem Feld in Portimao auf, das US-Pendant ist mit weitgehend unveränderter Teilnehmerliste eine Woche früher dran.
Aus dem kleinen Prototypen-Feld sind drei Mannschaften in Le Mans dabei gewesen: Highcroft Racing dürfte es etwas wurmen, dass man dem Schwester-HPD von Strakka trotz starkem Fahrertrio und viel Erfahrung unterlegen war, auch bevor man am Sonntagvormittag mit technischen Problemen weiter zurückfiel. Ob man in Utah wieder zu den Top-Favoriten auf den Gesamtsieg zählt, ist aufgrund der besonderen Streckenbedingungen unklar, doch dazu später mehr.
Drayson Racing hat die Zielankunft in le Mans, obwohl man nicht gewertet wurde, fast wie einen Sieg gefeiert. Wenn die Distanz etwas länger wird, machen gerne mal Teile des Antriebsstranges oder des Motorenumfeldes Probleme, das war auch schon in Sebring und Laguna Seca so. Und das, obwohl das Judd-Triebwerk ja eigentlich erprobt ist und als recht zuverlässig gilt. Hält das V10-Aggregat, könnte auch für diese Mannschaft eine Top-Platzierung drin sein, denn die leidet an diesem Wochenende unter einer Schwächung, die eher eine Stärkung ist: Lord Drayson, Teambesitzer und solider Gentleman Driver, hat sich den Fuß verletzt und kann nur zuschauen, wie Jonny Cocker sich mit seinem Ersatzmann Emanuele Pirro schlägt. Und dass der ehemalige Audi-Mann zur Spitzenklasse gehört, hat er in Sebring wie auch in Le Mans mit schnellen Rundenzeiten bewiesen.
Und dann war da noch Autocon, deren Besuch an der Sarthe nach weniger als einer Rennrunde vorbei war – es zählt der olympische Gedanke. Auch in der ALMS wird man bestenfalls mitfahren und auf Ausrutscher der Prototypen-Konkurrenz hoffen können.
Die Field-Familie im Intersport-Lola könnte gut irgendwann einen dieser Ausrutscher produzieren, bis dahin sind sie aber meist stark unterwegs. 2008 übernahm Jon Field im Miller Motorsports Park in den ersten Rennrunden die Führung – damals noch gegen Audi R10 und Penske-Porsche! – und auch beim vorletzten ALMS-Rennen in Long Beach waren die beiden lange gut unterwegs.
Dyson Racing mit dem BP-Isobutanol im Tank war in Laguna Seca enorm stark, insbesondere Guy Smith hatte in Kalifornien ein grandioses Wochenende. Nach der Pole hätte es auch fast für den Sieg gereicht, bis eine halbe Stunde vor Schluss der Antrieb streikte. Mit einer ähnlich starken Performance könnte in Bälde der erste Sieg seit langem anstehen. Auf die BP- bzw. Arco-Lackierung (Arco ist eine an der US-Pazifikküste tätige BP-Tochter) verzichtet man an diesem Wochenende, stattdessen prangt der Castrol-Schriftzug auf dem Fahrzeug, aber auch der Motoröl-Hersteller gehört zur BP-Gruppe. „BP Biofuels“ steht noch auf dem Seitenkasten geschrieben, aber auch die eigentlich lobenswerte Isobutanol-Initiative wird dem Konzern in der aktuellen Image-Krise nicht helfen.
Letzter Prototyp im Bunde ist der Cytosport-Porsche RS Spyder mit Klaus Graf und Greg Pickett. Dank gutem Speed, vor allem aber großer Zuverlässigkeit sowie grandioser fahrerischer Leistungen von Klaus Graf (der, ähnlich wie es bei Drayson Racing der Fall ist, die Zeitverluste seines Gentleman-Teamkollegen wettmachen muss) kämpft das Team um den Titel mit, liegt derzeit gar nur vier Punkte hinter den Führenden aus dem Hause Highcroft (71 gegenüber 67).
Dyson und Drayson sind da mit 54 bzw. 38 Punkten schon weiter abgeschlagen, wobei ja erst ein Saisondrittel vorbei ist. Drayson hat diese 38 Punkte auch nur, weil man in Sebring 30 Punkte für den „Sieg“ in der LMP1 zugesprochen bekam, da dort mit getrennten Klassen angetreten wurde und die Konkurrenz, zwei Peugeot und ein Aston Martin, keine Full-Season-Entries sind und somit keine Punkte kassieren können.
In der GT-Kategorie wird es wieder eng. Auch hier waren einige Teams in Le Mans zu Gast, allerdings waren die Fahrerpaarungen dabei neu gemischt, weil einige Porsche-Werksfahrer für andere Teams fuhren als in der ALMS.
Corvette schien an der Sarthe am stärksten, jedoch fiel ein Wagen am frühen Morgen mit Motorschaden aus, der andere wurde von Anthony Davidson im Peugeot abgeräumt. In der ALMS reichte es aber noch für keinen Sieg in diesem Jahr, ein zweiter und ein dritter Rang sprangen bisher heraus, in Sebring eliminierte man sich in der Boxengasse selbst. Trotzdem sind sowohl Beretta/Gavin als auch Magnussen/O’Connell jederzeit siegfähig.
Flying Lizard dagegen gewann die vergangenen zwei Rennen, war aber in Le Mans mit Bergmeister/Law/Neiman schwach. Zurück in den USA ist wieder Patrick Long Teamkollege von Bergmeister und die beiden gehören als meisterschaftsführende und Sieger der letzten beiden Rennen auf dieser Strecke wieder zu den Top-Favoriten; Law/Neiman im Schwesterauto eher nicht.
BMW war bei 24h-Rennen durch die kurzfristig geänderte ACO-Einstufung behindert, aber wenigstens kam eines der beiden Fahrzeuge solide ins Ziel. In der ALMS sieht es da besser aus, ein Podest gab es 2010 in jedem Rennen, aber auf den ersten Sieg seit Road America 2009 sowie den zweiten überhaupt mit diesem Fahrzeug wartet das Einsatzteam Rahal-Letterman noch. Die Le Mans-Pause hat die Mannschaft zum Testen auf der Road Atlanta genutzt, auf Reifenmischungen, Aufhängung und Dämpfern lag dabei das Hauptaugenmerk.
Bei Risi Competizione gibt es eine Überraschung: die Kooperation mit Krohn Racing liegt vorerst auf Eis, stattdessen werden neben den Sebring-Siegern Melo/Bruni nun Toni Vilander und Giancarlo Fisichella das zweite Fahrzeug steuern, die sonst in der LMS mit Jean Alesi zusammen ein Trio bilden. Es wird spannend sein, zu sehen, wie diese beiden sich gegen die versammelte US-Konkurrenz schlagen, der Wagen ist jedenfalls stark genug und in Europa reichte es bereits zu einigen beachtlichen Podiums-Ergebnissen.
Soweit die Favoriten-Teams, die zweite Garde bilden Bryan Sellers und Wolf Henzler im Falken Tire-Porsche und die beiden Extreme Speed-Ferrari, die unter glücklichen Umständen durchaus mal für ein Überraschungspodium gut sein könnten.
Der Robertson-Ford GT sieht vor allem schön aus und bei Jaguar wird munter weiter getestet und entwickelt, die beiden bilden das Ende des GT-Feldes. Feiern darf, wer am Ende mehr Runden absolviert hat.
In der LMP-Challenge-Klasse ist erstmals Alex Figge dabei, der in der nicht mehr existenten ChampCar-Serie ohne nennenswerte Erfolge unterwegs war. Davor hat er allerdings schon Sportwagen-Erfahrung gesammelt, 2006 reichte es in der Grand-Am für füng Top5-Resultate um Team seines Vaters. Was er seit 2007 gemacht hat, ist unklar, seine Website ist jedenfalls noch auf dem damaligen Stand…
Favoriten sind so oder so andere, vor allem Level 5 Motorsports (Tuxcker/Bouchut) und das Green Earth Team Gunnar (Jeanette/Zugel), die bisher bis auf einen Ausnahme alle ersten und zweiten Plätze der Saison belegten.
In der GTC wurden die ersten zwei Rennen von Alex Job Racing mit seinen gleich drei eingesetzten Fahrzeugen dominiert, bis in Laguna Seca überraschend Black Swan Racing mit den beiden Bleekemolens Jeroen und Sebastiaan gemeinsam mit Tim Pappas mit Rundenvorsprung vor TRG siegten. Um diese beiden muss man also das Favoritenfeld der Porsche-Klasse erweitern, es geht hier aber meist ähnlich eng und spannend zu wie in der GT(2).
34 Fahrzeuge werden somit insgesamt am Samstag im Miller Motorsports Park an den Start gehen, der erst 2006 eröffnet wurde, sich aber recht großer Beliebtheit erfreut. Ursprünglich als Privatspielplatz für den Unternehmer und Besitzer des NBA-Clubs Utah Jazz Larry H. Miller gedacht, designte Alan Wilson (u.a. Barber Motorsports Park und viele kleinere US-Rennstrecken) schließlich doch wegen großer Unterstützung eine voll ausgewachsene Rennstrecke – mit über sieben Kilometern Länge sogar länger als die meisten anderen modernen Kurse und so lang, dass u.a. die ALMS mittlerweile die 4,9km-Kurzanbindung nutzt.
Gesprägt wird die Strecke durch die enorm lange Start- und Zielgerade (fast 1100m) und vielen Kurven, die aber meist schnell und/oder anspruchsvoll sind. Nachteil: auf der grauen, ebenen (und sandigen!) Fläche nahe der Stadt Tooele sehen fast alle Streckenteile gleich aus, was dem TV-Zuschauer das Verfolgen des Rennens schwer macht. Da hilft es leider auch nicht viel, dass man sich für alle Kurven kreative, oft ironische Namen überlegt hat: „Right Hook“ und „Knockout“ heißt eine zumachende Doppelrechts, „Witchcraft“ die darauf folgende schnelle und langgezogene, daher Fliehkraft-intensive Rechts, die die Kurzanbindung darstellt.
Kombinationen, die allein namentlich schon spannend sind, überspringt man damit leider, so etwa „Fast“ – „Faster“ – „Gotcha“ oder „Agony“ & „Ecstasy“. Auf die Start- und Ziel-Gerade zurück-„geschleudert“ wird man per „Windup“ und der leicht gebankten „Release“. Bei vielen modernen Rennstrecken fehlt genau diese Kreativität, die einer Strecke Persönlichkeit gibt und Identifikation ermöglicht. Das macht die fahrerisch schon interessante Strecke 40 km westlich von Salt Lake City noch ein Stück besser.
Die lange Gerade wird die P1-Fahrzeuge von Intersport, Drayson und Autocon bevorzugen, insbesondere Intersport (die sowieso meist auf ein High Speed-Setup setzen) und Autocon werden mit ihren twin-turbogeladenen AER P32 V8-Motoren in 1350 m Höhe einen Vorteil haben, wo die Saugmotoren nach mehr Luft hecheln. In den kurvigen Teilen liegt der Vorteil auf Seiten der leichteren P2-Fahrzeuge, von denen der Dyson-Mazda der einzige Wagen mit (ebenfalls von AER aufgebauten) Turbo-Aggregat ist.
Wie sich diese Vor- und Nachteile im Endeffekt ausgleichen, ist schwierig zu sagen. Dyson dürfte insgesamt sehr gut aufgestellt sein, vor allem, wenn sie dir Form aus Laguna Seca halten können. Highcroft hat den Sauger-Nachteil und geht daher mit gedämpften Erwartungen ins Rennen, ist aber trotzdem nicht zu unterschätzen. Wenn die Field-Familie das Rennen fehlerfrei durchstehen, könnten am Ende sogar sie ganz oben stehen. Aber Siege für natürlich beatmete LMP2-Fahrzeuge sind auch durchaus möglich, wie Penske mit dem LMP2-Porsche 2007 und 2008 zeigte und auch 2006 unterlag man Audi nur knapp.
Nach den echten Langstreckenrennen in Sebring (12h) und Laguna Seca (6h) sowie dem hundertminütigen Stadt-Sprint in Long Beach folgt nun auch der Übergang zur eigentlichen Standard-Rennlänge der ALMS: in Utah wird wie bei den folgenden vier Rennen auch 2h 45min gefahren, bevor dann als Saisonabschluss das zur International Le Mans Challenge zählende Petit Le Mans (1000 Meilen oder 10 Stunden) folgt. Mit der Hitze und der Höhe wird allerdings der anstehende Utah Grand Prix das härteste der „Sprint“-Rennen, denn auch Kühlung und Abtrieb werden neben der Motorleistung beeinträchtigt.
Die grüne Flagge fällt am Sonntag um 14:35 Uhr Ortszeit, also 22:35 Uhr deutscher Zeit. SpeedTV überträgt in den USA live, MotorsTV erst mit gut einer Woche Verspätung am 18. Juli. Links zu Entry List, Spotter Guide, Radio Le Mans und Co. gibt es wie immer im ALMS-Race Hub.