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Formula E-Saisonfinale: Vorschau Montreal ePrix

von StefanTegethoff
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Für die Formula E läuft es momentan. Der New York ePrix mag seine Schwächen gehabt haben, aber immerhin hat man als erste internationale Rennserie ein Rennen im „Big Apple“ tatsächlich über die Bühne gebracht. Vor wenigen Tagen wurde der Mercedes-Einstieg zur Saison 2018-19 verkündet. Und nun geht es zum finalen Doubleheader nach Montreal, mit nur noch zehn Punkten Vorsprung für den Titelverteidiger Sebastien Buemi.

Dabei ist „nur noch zehn Punkte“ eigentlich schon die große Überraschung des New York-Wochenendes: auch ohne seinen großen Konkurrenten Sebastien Buemi, der für Toyota am Nürburgring ans Steuer musste, gelang es Lucas di Grassi in beiden Rennen nicht, aufs Podium zu fahren – seinem Abt Schaeffler Audi-Boliden fehlte insbesondere in der Quali der Speed. In den Rennen lief es für ihn besser, sodass er jeweils ein paar Plätze gewinnen und am Ende auf den Rängen 4 (am Samstag) und 5 (am Sonntag) landen konnte.

Der New York ePrix im Rückblick

Unfreiwilliger Helfer war sein Teamkollege Daniel Abt, der am Samstag kurz vor Schluss auf Podiumskurs liegend mit einem Fehler im Batteriemanagement ausschied und am Sonntag mit einem ähnlichen Problem schon in der ersten Runde langsam wurde. Zwar konnte er im zweiten Auto noch die schnellste Rennrunde fahren, doch die Team-Meisterschaft ist nach diesem enttäuschenden Ergebnis schon nahezu sicher in Händen des Renault e.dams-Teams. 65 Punkte Abstand sind nur aufzuholen, wenn Renault ein absolutes Katastrophen-Wochenende hat, womit nicht zu rechnen ist.

Buemi-Ersatzmann Pierre Gasly tat sich anfangs schwer und musste am Samstag weit hinten starten, konnte bei seinem FE-Debüt aber überzeugen und wurde am Samstag Siebter und am Sonntag Vierter, womit er wichtige Punkte auf dem Weg zur Renault-Titelverteidigung holte. Von Beginn an stark zeigte sich der zweite Ersatzmann, Alex Lynn, der am Samstag direkt auf Pole fuhr, aber in beiden Rennen ausschied, einmal mit mechanischem, einmal mit elektrischem Defekt. Sein Teamkollege Sam Bird dagegen konnte zum ersten Mal in dieser Saison wieder ganz oben aufs Podest klettern: er siegte an beiden Tagen – am Sonntag von Pole.

Wenn DS Virgin in Montreal ähnliche Performance auspacken kann wie in New York, könnten sich beide Fahrer – Bird und der zurückkehrende Jose Maria Lopez – in den Titelkampf zwischen Buemi und di Grassi einmischen. Ebenso könnte das den beiden Mahindra-Piloten gelingen, die in New York ebenfalls wieder einmal stark waren und am Sonntag die Plätze 2 und 3 einfuhren. Am Samstag war Heidfeld mit Defekt liegen geblieben, während Rosenqvist sich im Kampf um Platz 5 (gestartet war der Schwede von P17) von di Grassi in einen Fehler treiben ließ, der ihn den Heckflügel und alle Chancen auf Punkte kostete. Mit dem guten Sonntagsergebnis hat das indische Team nun noch 29 Punkte Vorsprung im Kampf um Rang 3 der Teamwertung; DS Virgin – die in New York mit Virgin-Gründer Richard Branson ein wirkungsvolles Maskottchen am Start hatten – muss in Montreal auf Pech des Gegners hoffen, wenn man diesen Rückstand noch aufholen will, denn Mahindra war zuletzt sehr stark.

Die beiden Läufe in New York – genauer gesagt in Brooklyn – waren unterhaltsam und spannend, wie es so oft ist, wenn einige starke Piloten in der Qualifikation patzen und sich von hinten durchs Feld pflügen müssen. Das war auf dem winkligen Kurs auch nicht so einfach, insbesondere die Startphase war an beiden Tagen heikel und ging in den engen ersten drei Kurven jeweils mit viel Kontakt und Verlust von Carbon-Teilen über die Bühne. Auch sonst blieb Kontakt beim Überholen manches Mal nicht aus, weil der Lenkeinschlag kaum reichte, um um die engere der beiden Haarnadeln zu kommen, wenn man innen neben dem Gegner anbremste.

Im positiven Sinne kann man die Strecke als „technisch“ beschreiben – aber andererseits wurde ein solch hakeliger Kurs auf der engen Freifläche eines Kreuzfahrtterminals der großen Metropole New York auch nicht wirklich gerecht. Ja, wenn die Kamera durch eine Lücke zwischen den Werbebanden auf die Freiheitsstatue schwenkte und zoomte oder man in einer Totalen die Hochhäuser von Brooklyn oder gar die Wolkenkratzer von Süd-Manhattan erahnen konnte, gab es schöne Bilder. Aber die meiste Zeit wirkte die Strecke eher wie ein Parkplatz in einem x-beliebigen Gewerbegebiet, das sich irgendwo auf der Welt hätte befinden können. Es war kein „echter“ Stadtkurs und so kam auch schwerlich „echtes“ New York-Feeling auf.

…und nun: Classic American Road Racing in Montreal

In Montreal wird das etwas anders aussehen. Der dortige Kurs erinnert an klassische nordamerikanische Stadtkurse, wie man sie aus der IndyCar oder aus längst vergangenen Formel 1-Zeiten kennt: viele 90°-Kurven, ein paar Bremsschikanen, einmal vorbei am Park und ein gebogenes Stück Straße hat man auch gefunden, die Abfahrt einer Autobahnauffahrt. Mich erinnert der Kurs an den Detroit Grand Prix aus den 80er Jahren, der ähnliche prägende Features hatte, darunter eine – von Marc Surer so bezeichnete – „Parkhauseinfahrt“ (und genau ein gebogenes Stück Straße an einem kleinen Park vorbei, wahrscheinlich die einzige Nicht-90°-Kurve in ganz Downtown Detroit).

Maison de Radio-Canada (CC BY 2.0, Urheber: abdallahh)

Und wo Detroit das Renaissance Center von General Motors als Wahrzeichen hatte, steht neben der Start-Ziel-Geraden in Montreal das wuchtige Hochhaus des Maison de Radio-Canada, des Sitzes der französischsprachigen Abteilung der Canadian Broadcasting Corporation. Auf der anderen Straßenseite erhebt sich der Turm der neogotischen Eglise Saint-Pierre-Apôtre. Die Gerade auf dem Boulevard René Levesque dazwischen ist mit gut 600 m eine der längsten der Saison – bei dem mäßigen Topspeed der FE-Boliden im Rennmodus ist diese Länge nicht wirklich zuträglich, aber die scharfe Rechtskurve am Ende dürfte eine gute Überholmöglichkeit bieten. Die Boxengasse wird hier ausnahmsweise auch mal wieder parallel zur Start-Ziel-Geraden eingerichtet, weil der mehrspurige Boulevard mit baulich getrennten Richtungsfahrbahnen das zulässt.

Molson-Brauerei (CC BY-SA 3.0, Urheber: Thomas1313)

Es folgen ein paar Kurven mit mehr oder weniger rechtem Winkel, linker Hand liegt die Molson-Brauerei (der erste Brau-Standort des Unternehmens) mit einem weiteren  Turm, wuchtig und mit rotem Klinker als Industriebau erkennbar (bemerkenswert ist die große Uhr an der Südfassade). Die Piloten müssen sich derweil auf eine enge Rechtskurve konzentrieren, nach der es auf das einzige geschwungene Stück Straße geht: der Vollgas-Linksbogen ist nur wenige Meter breit, führt aber auf die zweite lange Gerade – beides zusammen ergibt eine Vollgas-Passage von knapp 500 m Länge, an deren Ende wiederum eine 90°-Rechtskurve folgte, die nächste Überholmöglichkeit. Wenn es gut läuft, sind in den folgenden 90°-Grad-Kurven (erst linksrum, dann rechtsrum) Konter möglich.

Hier fährt man durch den Randbereich des historischen Zentrums von Montreal, des Viertels Ville-Mairie – das heißt: mehr hübsche Gebäude in allerlei historisierenden Stilrichtungen. Schließlich geht es mit einer sehr eng gestalteten Rechtskurve (der Platz auf der Kreuzung reichte für etwas Phantasie) zurück auf den Boulevard René Levesque. Doch bevor die Piloten wieder auf Start/Ziel kommen, müssen sie noch eine doppelte Schikane – rechts-links, dann links-rechts – durchfahren, die möglicherweise auch für einige Action sorgen wird.

Mit 2,75 km ist dies eine der längeren Strecken dieser Saison und – wie eingangs gesagt, und ganz im Kontrast zum New York ePrix – ein typischer amerikanischer Stadtkurs. Das muss nichts schlechtes heißen, die Rennen dort können durchaus spannend sein, auch wenn das Layout auf den ersten Blick bei solchen Kursen oft etwas eintönig wirkt. Das Anbremsen zu den 14 Kurven – mehrmals pro Runde vom Topspeed herunter – wird die Fahrer fordern, denn auch Schwung und die Energie-Rekuperation werden wichtig, schließlich will der schwere Bolide aus den 14 Kurven auch wieder herausbeschleunigt werden.

Renault e.dams habe diesen Kurs in Dreux nahe Paris (zumindest in Teilen) nachgebaut bzw. abgesteckt, will die britische Autosport herausgefunden haben – vom dortigen Flughafen, von dem die Rede ist, ist heute allerdings nur noch eine Graslandebahn übrig ist. Ob das nun letztlich kriegsentscheidend ist, wage ich zu bezweifeln, denn Straßenkurse zeichnen sich ja gerade durch ihre sehr spezifischen Eigenschaften aus, wie den Asphalt und dessen (in der Regel fehlende) Ebenheit. Alle anderen scheinen sich mit dem Simulator begnügt zu haben. Eine virtuelle Runde sieht so aus:

Das Duell: Buemi vs. Di Grassi

Zwischen di Grassi und Buemi gibt es das vor so einem Finale übliche Geplänkel. Der Schweizer warnte seinen Konkurrenten vor einem Zwischenfall wie beim Londoner Saisonfinale im Vorjahr, als dieser ihm in der ersten Kurve ins Auto fuhr und beide danach versuchten, sich mit der schnellsten Rennrunde gegenseitig zu übertrumpfen, da es nur um einen Punkt für den Titel ging. Der Brasilianer erwiderte ein paar Tage später, Buemi habe anscheinend ein Problem mit Druck, schließlich habe er in der Saison davor den Titel durch einen Dreher verspielt.

Wäre Buemi in New York angetreten, wäre er wahrscheinlich schon so gut wie sicher Champion, denn vor dem notgedrungen ausgelassenen Wochenende hat er sechs der acht Saisonrennen gewonnen. Seine Performance in dieser Saison war über weite Strecken dominant, während di Grassi überhaupt nur einen Lauf, den Mexico ePrix, gewinnen konnte. Abt Schaeffler war zu Saisonbeginn zweite Kraft, wurde aber inzwischen von Mahindra und DS Virgin einge- oder (von Mahindra) sogar überholt. Wenn die Dinge für Buemi nicht so schlecht laufen wie in Mexico City oder wie im ersten Lauf in Berlin (wo er wegen zu niedrigen Reifendrucks disqualifiziert wurde), sollte er sich diesen Titel eigentlich nicht mehr nehmen lassen. Aus dieser Favoritenrolle dürfte sich der meiste Druck generieren – denn selbst, wenn er nicht Meister wird, kann er es stets (und mit Recht) auf das ausgelassene New York-Event schieben.

Der FanBoost – ja es gibt ihn noch, auch wenn ich ihn mittlerweile selten erwähne – dürfte auch nicht zum entscheidenden Faktor werden. In dieser Saison lagen sowohl di Grassi als auch Buemi beim Voting jedes Mal (!)= in den Top 3. Bis auf zwei Läufe haben die Fans auch Daniel Abt konstant dieses Schub Extra-Leistung (abrufbar im zweiten Auto) zugesprochen. Überraschung: Stand Mittwochabend liegen im Voting vorn: Lucas di Grassi, Daniel Abt und Sebastien Buemi. Meinetwegen darf es gern der letzte FanBoost-Einsatz werden, das Modell hat sich damit überholt, auch der Neuheits-Faktor ist weg.

Trotzdem darf man sich auf das Saisonfinale freuen, Montreal ist ein schöner Austragungsort und wir haben zwei starke Piloten im Kampf um den Titel. Zwar gibt es genug Anlass zur Kritik an der Formula E, doch wie sich gerade immer mehr zeigt, gehört der Elektromobilität die Zukunft. Natürlich hätte man mit dem Serienstart warten können, bis die Batterietechnologie weiter wäre und die Autos länger durchhalten, doch dass wir nun schon die dritte Saison mit oft spannenden und manchmal auch spektakulären Rennen beinahe absolviert haben und der Zuspruch der Hersteller steigt, zeigt doch, dass Alejandro Agag und Co. den richtigen Zeitpunkt ausgewählt haben.

Wann und wo?

Die beiden Montreal-Rennen starten am Samstag und Sonntag jeweils um 16 Uhr Ortszeit, das entspricht 22 Uhr in unseren Längengraden. DMAX überträgt jeweils live, geht aber ohne nennenswerte Vorberichte erst kurz vor dem Rennen drauf, wie schon in New York. Eurosport zeigt jeweils nach 23 Uhr die von ihnen für DMAX produzierte Übertragung als Aufzeichnung. Die Qualifikation gibt es leider in Deutschland nicht zu sehen, sie findet jeweils um 12 Uhr Montrealer Zeit, also 18 Uhr MESZ statt – ein Blick würde sich lohnen, da die Qualifikation möglicherweise schon vorentscheidend sein kann, und nicht nur wegen der drei Punkte für die Pole Position. Doch der offizielle Youtube-Stream (Link in unserem TV-Planer) ist für deutsche Zuschauer leider geogeblockt.

NYC ePrix, Rennen 1:

NYC ePrix, Rennen 2:

(Bilder: Formula E Media)

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