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24 Stunden von Spa 2017: Zehn Thesen zum Rennen

von Philipp Körner
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Die 69. Ausgabe der 24 Stunden von Spa hat alle Erwartungen, die im Vorfeld formuliert wurden, erfüllt. Es war eine gnadenlose GT3-Schlacht mit etlichen Unfällen, die auch vor Sieganwärtern nicht Halt machte. Zudem erlebten wir GT3-Sport auf höchstem Niveau, was einen im Verhältnis gesehen extrem knappen Zieleinlauf generierte. Da eine ausgiebige Analyse schon aufgrund der diversen Ereignisse nahezu unmöglich erscheint, nähern wir uns diesem historischen Rennen mit zehn Thesen.

These 1: Wer den Ardennen-Klassiker gewinnen will, sollte sich auf seinen Plan konzentrieren und aus dem Gröbsten raushalten.

Die Siegesfahrt des #25 Audi Sport Team Saintéloc R8 LMS (Christopher Haase-Jules Gounon-Markus Winkelhock) steht prototypisch für die Herausforderungen eines GT3-Langstreckenrennens. Man muss kompromisslos das größtmögliche Risiko eingehen und hoffen, dass schlicht nichts Blödes vor einem oder in der Box passiert. Und das Erfüllen dieser nahezu unmöglichen Aufgabe sollte dann auch noch schneller als bei der Konkurrenz verlaufen. Genau dies ist der Nummer 25 auf eher außergewöhnliche Art und Weise gelungen.
Um den Weg auf die höchste Stufe des Podiums zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die jeweiligen Positionen zum Stundenwechsel. Vor allem in der Anfangsphase wurden selbige noch von strategischen Verschiebungen beeinflusst.

Die vereinfachte Grafik zeigt eindrucksvoll, wie weit man im Anschluss an das erste Renndrittel zurückgefallen war (temporär sogar zwei Runden Rückstand auf den Führenden laut offiziellen Datenblättern). Ab dem Beginn des letzten Renndrittels gelang ein weiter Sprung nach vorne. Dies basierte zum Großteil auf einer extrem guten Pace und starken Stints des Franzosen Jules Gounon und Markus Winkelhock. Der Deutsche fuhr in dieser Zeit sogar die schnellste Runde des Rennens (Runde 362: 2:19.756 Minuten). Dank dieser guten Grundlage positionierte man sich in Sachen Strategie sehr günstig Richtung Rennende und man führte sogar 45 Runden lang das Feld an.

Für die werksunterstützte Nennung des Teams Saintéloc, dessen Name eine Hommage an die Heimatstadt Saint-Étienne ist, war das Rennen mit Herausforderungen gespickt. Man startete „nur“ von Platz 19 aus, musste wegen eines nicht korrekt festgezogenen Rads nochmal rein und wählte während des Gewitters die sichere Alternative in der Form von Regenreifen (weitere spannende Statistiken und Anekdoten kann man im Audi MediaCenter nachlesen).
Trotzdem hielt man sich aus dem Trubel weitestgehend raus, was schlussendlich der Schlüssel zum Sieg gewesen sein sollte. Denn es gab zweifelsohne Trios der Konkurrenz, die überlegen gewesen sind, aber das Rennen in Unfällen weggeschmissen haben. Frei nach Ron Dennis: „To finish first, you first have to finish!“

These 2: Das Chaos der 24 Stunden von Spa lässt sich nicht vermeiden.

Der Parkplatz für verunfallte bzw. ausgeschiedene Fahrzeuge erreichte im Laufe des Rennens schnell eine Größe, die sich so manches nationale GT3-Championat sehnlichst als Feld wünscht. Am schlimmsten sah sicherlich der #50 AF Corse Ferrari 488 GT3 (Pasin Lathouras-Michele Rugolo-Alessandro Pier Guidi) aus, der in den Reifenstapeln der Eau Rouge-Auslaufzone zerschellt war. Dass der Thai Lathouras unverletzt blieb, sagt vieles über die Sicherheit der aktuellen GT3-Generation aus. Doch nicht nur der gelbe Ferrari beendete das Rennen mit einem Knall. Zudem verunfallten mindestens zehn weitere Autos nennenswert schwer. Wie im Jahre 2014 gibt es leider auch größere Verletzungen zu vermelden. Der Barwell Motorsport-Pilot Adrian Amstutz erlitt eine gebrochene Rippe und Verbrennungen zweiten Grades, nachdem sein PAM-Lamborghini im Zuge eines Abfluges Feuer gefangen hatte. Wir hoffen, dass der Schweizer auf dem Weg der Besserung ist und wünschen alles erdenklich Gute.

Auch in Spa berief sich die SRO-Rennleitung auf die neue rigide Strafenpolitik. Kontakte jeglicher Art wurden so weiterhin sehr kritisch betrachtet und entsprechend sanktioniert. Dass die Anzahl der track-limits-Strafen im Verhältnis um etliches höher war, ist demnach ein Anzeichen dafür, dass das zwischenfahrerische Benehmen weitestgehend gut gewesen sein muss. Der Großteil der Unfälle kann auf eigenständige Fahrfehler oder technische Probleme zurückgeführt werden. Das einzige große Beispiel für einen kontaktbedingten Unfall ist das unglückliche Aufeinandertreffen zwischen dem #90 AKKA ASP Mercedes AMG GT3 (Edoardo Mortara-Michael Meadows-Raffaele Marciello) und dem #55 Kaspersky Motorsport Ferrari 488 GT3 (Giancarlo Fisichella-Marco Cioci-James Calado) gewesen. Während Ciocis Ferrari mit gebrochener Lenkung in der Eau Rouge abflog, sollte der Mercedes Gesamtplatz drei später feiern können. Die Rennleitung beschloss interessanterweise, dass ein Rennunfall vorläge.

Bei über 60 Nennungen auf dem extrem anspruchsvollen 7,004 km-Kurs können Unfälle nicht ausgeschlossen werden. Naturgemäß fallen diese in Kurven wie der Eau Rouge, Raidillon oder Blanchimont dementsprechend schwerer aus. Zudem sind Berührungen in den Nachtstunden quasi nicht zu verhindern. Somit befinden wir uns in noch akzeptablen Bahnen. Eine einzige denkbare Reaktion wäre das Ende der nationalen Klasse, die mit zwei Teilnehmern eh komplett irrelevant gewesen ist.

These 3: Das Rennen war ein Crash-Fest.

Hat er nicht gerade ausgiebig erklärt, warum das Rennen erwartungsgemäß hektisch gewesen ist und dies dem Charakter des Klassikers entsprechen würde? Ja, hat er! Trotzdem muss man sich dieses Label weiterhin gefallen lassen. Laut unserer Zählweise (Rennleitungssystem funktionierte teils nicht einwandfrei) gab es 17 Full Course Yellow-Phasen und 13 Safety Car-Einsätze. Das eh schon überlange Highlightvideo enthält dementsprechend jede Menge Schrott und enttäuschte Mechaniker. Wer nach Spa kommt, muss mit einem Unfall rechnen. Alles andere wäre naiv. So wurden im Übrigen auch nur etwa 56 Prozent des Feldes schlussendlich gewertet.

These 4: Die sehr unglücklichen Unfälle des #00 Good Smile Racing & Team UKYO Mercedes AMG GT3 (Nobuteru Taniguchi-Tatsuya Kataoka-Kamui Kobayashi) waren eine Warnung an internationale Teams.

Passend zur These 3 treffen derartige Unfälle vor allem internationale Gäste schwer. Die sehr sympathische japanische Truppe von Good Smile Racing verlor beispielsweise am Donnerstag ein komplettes Chassis und der Ersatz erlebte in der grausamen Nacht einen weiteren heftigen Abflug in der Bus Stop. Wie Yankee bereits berichtet hatte, entstand dadurch ein großes Loch im Budget: kein schönes Souvenir aus Europa. Auch wenn die Woche für sie eine Katastrophe gewesen ist, bleibt ihr Gastspiel auf dem alten Kontinent eine schöne Erinnerung. Die ästhetisch sehr ansprechende Lackierung war ein Highlight im Spotterguide (der Ersatzbolide hatte leider nur noch die Tür) und sollte auch bei der Parade ein beliebtes Motiv gewesen sein. Dōmo arigatō!

These 5: Der Umgang der Rennleitung mit den Streckenbegrenzungen ist genau richtig gewesen.

Fast 50 Durchfahrtsstrafen wurden für maßlose Grenzüberschreitungen am vergangenen Wochenende ausgesprochen. Das ist ohne Zweifel extrem viel, aber es gibt nun mal keine Alternativen mehr. Bauliche Maßnahmen wie Mauern oder Kiesbetten werden höchstens noch weiter abgebaut und Fahrer nutzen diese Freiheiten so ausgiebig wie möglich. In einem robusten GT3-Gefährt scheint dies besonders einfach zu sein. Die SRO adressierte dieses Problem mit einer Mischung aus Hinweisen, Warnungen und Strafen, was einen Grad der Fairness sicherte. Im Nachhinein erklärten zwar Fahrer, dass solche Ausrutscher ja mal beim Überrunden passieren können. Aber warum fliegen dann nicht ständig Fahrer auf anderen, engeren Kursen in Mauern ab in vergleichbaren Situationen?

These 6: Das Angleichen von Strategien und Autos (via BoP) sowie weitere Hilfestellungen sind größtenteils positiv für das Rennen.

Es wurde wieder gemeckert ohne Ende. Eine GT3 ohne Beschränkungen wäre ja so viel besser, das Angleichen der Strategien zerstöre die ganze Renndynamik und irgendwas mit BMW. Eine Grundsatzdiskussion zum Thema BoP ist weiterhin verschwendete Zeit. Ohne die Anpassungsmaßnahmen gäbe es den aktuellen Markenboom nicht (vgl. Vorstellung des Honda-Kundensportprogramms) und der GT3-Sport müsste sich möglicherweise Gefahren aussetzen, wie sie die DTM und die WEC gerade erleben. Im Abschlussklassement befinden sich immerhin fünf Marken in der Top 10. Weitere zwei Marken waren potentielle Anwärter, die durch Unfälle aber daran gehindert wurden. 14 unterschiedliche Fahrzeuge konnten sich Führungsrunden ans Revers heften und sechs Boliden beendeten das Rennen dann auch in der lead lap. Abschließend wurde die BoP passenderweise von de facto allen gelobt. Bitte nicht nachlassen, SRO!

Zum fünfminütigen Technik-Stopp (v.a. für Bremswechsel) und zu den Stoppzeitrahmen ist heuer ein Sonderboxenaufenthalt für Regenreifen dazugekommen. Dieser funktionierte im Rahmen des Gewitterschauers ohne Probleme. Das Anpassen der Stoppzeiten verhindert generell, dass Teams mit F1-esken Maßstäben in der Pitlane zu Werke gehen, und dadurch werden vor allem kleine Mannschaften wie Saintéloc geschützt. Das kann man nun mögen oder nicht, aber für die Enge an der Spitze war dies auf jeden Fall zuträglich.

BGTEC-spezifisch ist zudem die Stint-Obergrenze von 65 Minuten (70 Minuten bei Neutralisierungen). Bei einigen Top-Teams wie dem #90 AKKA ASP Mercedes waren schlussendlich einige Minuten zu viel zu gehen, weshalb man beispielsweise mit einer längeren letzten Standzeit die Obergrenze einhielt. Dementsprechend regte man sich auch auf. Für sie ist das zwar höchst ärgerlich, aber Glück ist seit jeher ein traditionelles Element von Langstreckenrennen. Eine weitere Neutralisierung hätte alles ändern können.

These 7: Das Rennen war für Spa-Verhältnisse eher untypisch.

Circuit de Spa-Francorchamps: Michael Schumachers Wohnzimmer und wettertechnischer Bruder im Geiste des Nürburgrings. So oder so ähnlich könnte ein Werbeslogan des Ardennenkurses lauten. Während Teil eins dank eines guten Wochenendes seines Sohns gewissermaßen bestätigt wurde, war das Wetter faszinierend anders. Unser „Mann in Spa“ Exos berichtete via Chat und Twitter ausgiebig über die Ereignisse und Erlebnisse vor Ort und schilderte eine Nacht, die schon nahe an tropische Verhältnisse herankam. Passenderweise gab es dann noch einen nervigen Gewitterschauer in der Mitte dieser. Doch nicht nur die Fans zeigten sich verwundert. Auch die Fahrer schienen unter der hohen Luftfeuchtigkeit und Wärme leiden zu müssen (trotzdem fuhr Raffaele Marciello insgesamt die maximalen 14 Stunden). Außerdem zeigten sich die Ardennen über weite Teile sehr sonnig. Spa – berechenbar unberechenbar!

These 8: Das KÜS Team75 Bernhard hätte gewinnen müssen.

In jedem Langstreckenrennen ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Mannschaft einen möglichen Rennsieg mehr oder weniger tragisch wegwirft oder wie Toyota schlicht aus den Händen gerissen bekommt. Die unbeliebte Rolle kommt in diesem Fall wohl dem #117 KÜS Team75 Bernhard Porsche 911 GT3 R (Kevin Estre-Michael Christensen-Laurens Vanthoor) zu. Das mit Starfahrern besetzte Trio war von Anfang an bei der Musik und ging von Platz vier aus in den 24h-Lauf. In selbigem handelte man sich nach knapp drei Stunden eine 3-Minuten-Stop-and-Go-Strafe ein, die mit einem sicherheitsrelevanten Vergehen in der Box begründet wurde. Nach dem Absitzen dieser zeigte man einen beeindruckenden Comeback-Willen, der auch von einer zusätzlichen Durchfahrtsstrafe nicht gebrochen werden konnte. Außerdem profitierte man schlussendlich von den vielen Neutralisierungen in der Nacht. Dies brachte der Truppe aus dem pfälzischen Bruchmühlbach-Miesau einen vierten Gesamtplatz ein. Mit größerem strategischem Timingglück hätte man sogar mindestens den Sprung auf das Podium geschafft, denn dank des abweichenden Zyklus hatte man sogar längere Zeit Platz eins inne:

Dies ist kein (!) Vorwurf und sollte eher als Beobachtung und vielleicht auch als Lob verstanden werden. Die GT Masters-Truppe hat ein atemberaubendes Langstrecken-Debüt gezeigt und wurde schlussendlich auch Opfer dieses Sachverhalts. Dass man auf Anhieb siegfähig war und trotz zweier Strafen das Podium knapp verpasst hat, sollte eine starke Botschaft in Richtung Zuffenhausen sein.

These 9: Der Circuit de Spa-Francorchamps meint es aktuell vor allem mit deutschen Herstellern gut.

Auch wenn das Prädikat „deutscher Hersteller“ momentan einen mafiösen Klang in sich trägt, scheint es bei den 24 Stunden von Spa den Weg Richtung Podium zu ebnen. Der letzte Sieg eines nicht-deutschen Modells war im Jahre 2009, als die PK Carsport Chevrolet Corvette C6.R gewinnen konnte. Seitdem trugen sich Porsche (2010), Audi (2011, 2012, 2014 sowie 2017), Mercedes (2013) und BMW (2015 sowie 2016) in die Geschichtsbücher ein. Mit 23 Gesamtsiegen wird die Bayerische Motoren Werke AG zusätzlich noch viele Jahre Rekordsieger sein.

Am vergangenen Wochenende gab es drei große europäische Konkurrenten in der Form von Lamborghini, Bentley und Ferrari. Während der #8 Bentley Team M-Sport Continental GT3 (Maxime Soulet-Vincent Abril-Andy Soucek) immerhin Platz zwei nach Hause brachte, erlebten die Italiener schmerzhafte Niederlagen – trotz sehr guter Ausgangslagen. Ob sich dieses Gesamtbild 2018 ändert? Fraglich!

These 10: Die 24 Stunden von Spa sollten auf jeder To-do-Liste stehen.

Für die meisten Motorsportfans sind die 24 Stunden von Le Mans und auf dem Nürburgring die absoluten Jahreshighlights. Der Legendenstatus mobilisiert und sorgt für große Emotionen. Danach scheinen jedoch viele erstmal gesättigt zu sein, denn die schiere Menge an großen Rennen im Mai und Juni kann einen schon mal erschlagen. Dementsprechend merkte man auch die etwas geringere Begeisterung für den GT-Klassiker im dichten Wald im Osten Belgiens. Doch die Spa24h werden immer mehr zu einer absoluten Pflichtveranstaltung. Über 20 siegfähige Nennungen, ein riesiges Feld von Traumwagen und die besten GT-Fahrer des Planeten beweisen ihr Können auf dem besten GP-Kurs der Welt. Das sollten bereits genügend Argumente sein! Zudem schwärmten Thomas und Exos von ihren Besuchen und sprachen eine große Empfehlung aus. Vielleicht sollte dies in Eure Jahresplanung 2018 miteinfließen.

Am kommenden Wochenende umrunden die ADAC GT Masters die Sprintvariante des Nürburgrings. Dank eines guten Wochenendes in Zandvoort konnte sich Callaway-Pilot Jules Gounon in der Meisterschaft absetzen (44 Punkte Vorsprung). Der Spa-Sieger wird mit Rückenwind in die Eifel reisen und könnte im Schatten der Nürburg ein noch größeres Polster schaffen wollen. Jedoch hatte die Corvette C7 GT3-R dort einige Probleme im vergangenen Jahr. Zeiten und Rahmenserien findet Ihr wie immer in den TV-Zeiten.

Bilderrechte / Copyright: SRO (Blancpain GT Series)

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