Kaum jemand hätte für möglich gehalten, dass Williams in diesem Jahr das schlechteste Team der Saison ist.
Die Formkurve von Williams ist im Keller angekommen. Zwar sind dem Team so schlechte Saisons aus den letzten Jahren bekannt (2013 und 2011), aber selten war Williams so weit weg vom Mittelfeld, wie in diesem Jahr. Dabei steht dem Team der Mercedes Motor zur Verfügung und man hat mit Martini zumindest noch in diesem Jahr einen potenten Sponsor an Bord. Auch die im Frühjahr veröffentlichten Geschäftszahlen sahen nicht schlecht aus. Ebenso hat man mit Paddy Lowe immerhin einen Mann holen können, der bei McLaren und bei Mercedes beschäftigt war. Aber Williams hat etliche Problemfelder.
Der FW41
Das letztjährige Auto war schon keine Granate und wurde von allen Seiten als zu konservativ empfunden. Immerhin holte man aber noch 83 Punkte in der WM und landete auf P5 der Konstrukteursmeisterschaft. Der FW41 ist nicht mehr in der Lage regelmäßig in die Punkte zu kommen. Bei der Präsentation zeigten sich Experten wie Craig Scarborough und Giorgio Pianola noch angetan vom Design und lobten das eigenständige und scheinbar progressiven Vorgehen. Aber schon nach den ersten Tagen setzte Ernüchterung ein. Der FW41 ist sehr unruhig auf der Hinterachse. Beim Einlenken neigt das Heck schlagartig dazu auszubrechen, am Scheitelpunkt der Kurve rutscht das Auto über alle vier Reifen oder das Heck bricht aus.
Es dauerte lange, bis die Gründe für dieses ungewöhnliche Verhalten, das sich auf allen Kursen zeigte, nach außen sickerten. Es geht um den Diffusor. Die Luft wird unter dem Auto durch den Unterboden komprimiert. Der so entstandene Unterdruck sorgt für den größten Teil des Abtriebs. Damit das passiert, ist die Luftführung von vorne aber auch die seitliche Luftführung wichtig. Am Ende soll die Luft durch den Diffusor nach hinten abgeleitet werden. Der ist wiederum zu einem großen Teil für den Abtrieb des Autos zuständig. Und ausgerechnet dort kommt es bei Williams zu einem Aero Stall. Das bedeutet, dass durch einen schlagartig auftretenden Druckabfall unter dem Auto der Abtrieb wegbricht.
Das ganze ist natürlich komplex, weil der gesamte Abtrieb aus unzähligen Variablen zusammengesetzt wird. Dazu gehört neben der Aerodynamik auch der Abstand des Unterbodens zum Asphalt, die Geometrie der Aufhängung usw. Warum der FW41 den Aero Stall bekommt, scheint aber nicht mal Williams zu wissen. In Silverstone hatte man einen neuen Heckflügel dabei, der das Problem sehr offensichtlich verstärkte. Die Autos flogen ab, weil sich beim Anbremsen und gleichzeitigen Schließen des DRS sofort ein Aero Stall bildete. Das Heck hebt sich beim Anbremsen, gleichzeitig wird der Heckflügel wieder voll angeströmt – die Folge ist, dass der Unterdruck im Diffusor verloren geht. Williams rüstete auf den alten Heckflügel zurück, bei dem das Problem nicht auftrat.
Nach zehn Rennen hat Williams die Sache nicht lösen können. Was darauf hindeutet, dass es ein fundamentales Problem mit der gesamten Aerodynamik ist. Aber Geld und Ressourcen für eine B-Variante fehlen dem Team. Man wird das Problem vielleicht eingrenzen können, aber mehr nicht. Das selbst diese Eingrenzung schwierig zu sein scheint, zeigte das Rennen in England deutlich.
Was wiederum darauf hindeutet, dass das Problem tiefer liegt. Die Zahlen, die man aus dem Windkanal und dem Computer bekommt, korrelieren nicht mit den Werten, die man auf der Strecke hat. Dieses Phänomen ist nicht neu, das hatten schon fast alle Teams, inklusive Ferrari. Die entscheidende Frage lautet, warum die Werte nicht passen. Und da kann man sehr lange suchen.
Das Personal
Williams hat mittlerweile den Chef Aerodynamiker Dirk de Beer und den Chef des Design, Ed Wood, entlassen. Die Positionen wurden intern neu besetzt. Ob die Schuld nun wirklich bei de Beer und Wood lagen, ist schwer zu sagen. De Beer war gerade mal ein Jahr im Amt und war zuvor bei Ferrari und davor bei Lotus/Renault unterwegs. Offenbar war man bei Williams nach dem Flop mit dem FW41 nicht überzeugt, dass de Beer und Wood das Ruder rumreißen können. Kritik gibt es aber auch an Paddy Lowe.
Lowe war von 1993 bis Anfang 2013 bei McLaren, dort vor allem in der Entwicklung. Aber 2011 übernahm er die Rolle des Technischen Direktor. In seine Zeit fällt die gute Saison 2011, wo McLaren zweiter in der Team-WM wurde. 2012 ging es bergab. Danach wechselte er zu Mercedes, wo er Ende 2013 dann Ross Brawn ersetzte. Die WM-Titel aus den Jahren 2014 bis 2016 begleitetet er Technischer Direktor.
Missgunst ist auch in der F1 nun wirklich keine Seltenheit. Einige Beobachter haben immer wieder erwähnt, dass Lowe sowohl bei McLaren als auch bei Mercedes nur die gute Arbeit der Vorgänger übernommen habe. Ebenfalls wurde angemerkt, dass seine Rolle durch die diversen Zukäufe bei Mercedes (zum Beispiel Aldo Costa als Designer) immer mehr beschnitten wurde. Lowe vertrat auch nur selten das Team vor der Kamera, das lag bei Toto Wolff und Niki Lauda.
Demzufolge sind gerade nicht wenige der Meinung, dass Lowe der falsche Mann bei Williams ist, weil er noch nie als Verantwortlicher ein Team nach vorne gebracht hat. Er habe immer nur gute Arbeit übernommen und weitergeführt.
Auffällig ist zumindest, dass unter seinem Vorgänger, dem ja nicht unumstrittenen Pat Symonds, es für Williams sehr gut lief. Symonds kam 2013 zum Team und hielt Williams auch als „best of the Rest“ in den folgenden Jahren in der WM. Er verließ das Team 2016, als sein Vertrag nicht verlängert wurde, weil Williams schon mit Paddy Lowe in Verhandlungen war. Auffällig ist auch, dass es bei Mercedes durch den Weggang von Lowe keinen Performance Einbruch gegeben hat. Wobei man aber auch sagen muss, dass sich sein Fehlen in der Entwicklung bei Mercedes erst in diesem Jahr auswirkt, da er bis Ende 2016 dort ja noch gearbeitet hatte. Und in diesem Jahr ist Ferrari näher dran. Dies gesagt – auch Mercedes hat über den Winter an Performance zugelegt, Ferrari ist halt näher gekommen.
Nicht unkritisch darf man auch bei der obersten Führungsriege sein. Claire Williams hat das Tagesgeschäft an der Strecke von ihrem Vater übernommen, der auf Aufgrund seiner eingeschränkten Mobilität und seines Alters (76) nicht mehr in der Lage ist, an jedem Rennen teilzunehmen, Aber der Gründer ist weiterhin offiziell Chef des Teams. Wie man in der Dokumentation über Williams https://www.imdb.com/title/tt6981046/ sehen konnte, ist er in jede Entscheidung eingebunden und führt das Team vom Hauptsitz aus. Das Thema Machtvakuum kann durchaus eine Rolle spielen.
Die Fahrer
Dass der FW41 eine Gurke ist, liegt weder an Lance Stroll, noch an Sergej Sirotkin. Dass die beiden aber nicht zu Creme der vorhandenen Fahrergilde gehören, ist aber auch ersichtlich. Stroll wurde in den letztem Jahren selbst von einem oft lustlosen Massa geschlagen, jetzt liegt Stroll meist vor Sirotkin. Der Abstand ins sehr enge Mittelfeld beträgt aber rund 8 Zehntel. Was ein sehr guter Fahrer ausrichten kann, sieht man bei McLaren und Alonso. Während Vandoorne selten in Q3 kommt, schafft der Spanier das einigermaßen regelmäßig. Ohne Alonso wäre McLaren abgeschlagen. Weder Stroll noch Sirotkin sind Ausnahmetalente, die in ihrer bisherigen Karriere auf Grund ihrer Erfolge für hochgezogene Augenbrauen gesorgt haben. Und was ein Ausnahmetalent ausmachen kann, sieht man bei Sauber mit Charles Leclerc.
Die Kombination aus unerfahrenen Fahrern und einem verkorksten Auto macht die Situation aber nicht besser. Vermutlich könnte ein Mann wie Massa den Entwicklern sehr wertvolle Hinweise geben, die nun fehlen. Was Williams also dringend benötigen würde, wäre ein erfahrener Pilot, der vor allem auch den Entwicklern gutes Feedback geben kann. Jemanden wie Stroll, der in Kanada per Funk fragen musste, wo sich denn am Lenkrad der Knopf für das Regenlicht befindet, ist da vielleicht nicht passend. Und jemand wie der Russe, der langsamer als Stroll ist, auch nicht.
Wie geht es weiter?
Williams hat sehr viele Baustellen. Das Auto, die Teamstruktur, die Fahrer. Das lässt sich nicht einfach lösen. Hinzu kommt, dass man Ende des Jahres den Hauptsponsor verliert. Da kann man eigentlich eine Saison wie diese gerade überhaupt nicht gebrauchen. Williams benötigt aber eine fundamental andere Struktur.
Was die Designer angeht, muss man abwarten. Dass man die Stars mit eher unbekannten Designern aus dem eigenen Haus ersetzt hat, muss nichts schlechtes sein. Force India macht das seit Jahren vor. Auf der anderen Seite wäre jemand wie Jörg Zander auf dem Markt. Der hat den neuen Sauber entworfen, der zumindest in der Grundstruktur offenbar kein schlechtes Auto war.
Bei den Fahrern sollte man dringend schauen, dass man Erfahrung ins Team bekommt. Die Frage ist nur: wer von den erfahrenen Piloten würde zu Williams wechseln? Die Silly Season warf den Namen Räikkönen in den Raum. Aber selbst wenn der Finne bei Ferrari gehen muss (was auf Grund seiner Leistungen alles andere als sicher ist) dürfte der keine Lust haben mit Williams hinterher zu fahren. Zu dem gilt der Finne nicht gerade als geborener Entwickler.
Ein bisschen unter Beschuss ist Romain Grosjean bei Haas. Seine Auseinandersetzungen mit Teamchef Günter Steiner sind legendär, das er dieses Jahr von Magnussen gebürstet wird hilft seiner Stellung nicht. Offenbar hat auch Haas ein Auge auf Räikkönen geworfen, der da aber meiner Meinung nach auch dazu keine Lust zu haben wird.
Bei Toro Rosso wird sehr sicher Brandon Hartley frei werden. Aber er fährt Pierre Gasly hinterher und hat auch wenig Erfahrung in der F1. Aber auf Grund seiner WEC Vergangenheit bringt er immerhin viel Erfahrung in Sachen Entwicklung mit. Eventuell könnte Williams Vandoorne abstauben, sollte der von Land Norris ersetzt werden. Letzterer müht sich allerdings auch gerade in der F2 ab und hat Konkurrenz durch George Russel bekommen. Die Optionen sind also eingeschränkt und selbst wenn sich Grosjean zu Williams verirren sollte, muss man dem auch ein Auto geben, mit dem er in seinen lichten Momenten vorne mitfahren kann.
Dazu kommt, dass Umstrukturierungen immer Geld kosten. Sollte man keinen neuen Hauptsponsor finden, muss man weiter an den beiden Fahrern festhalten, weil einen großen Teil des Budgets decken. Die Antwort auf alle Fragen bei Williams muss also lauten, dass man ein so gutes Auto auf die Beine stellt, dass man mit der jetzigen Fahrerpaarung regelmäßig als bestes Privatteam gewertet wird. Das ist, Stand jetzt, eine Mammutaufgabe.
Bilder: Williams F1