Die Zeit um den Jahreswechsel nutzen wir meistens für Best-Of-Artikel. Doch hin und wieder nutzen wir die kurze motorsportfreie Zeit im Winter auch für Artikel, die vielleicht nicht ganz in den sonstigen Rahmen des Racingblogs passen – wie zum Beispiel auch dieser Beitrag.
Die Rallye Peking-Paris war eine der frühesten Motorsportveranstaltungen der Welt und wahrscheinlich das schwierigste Autorennen ihrer Zeit. Die erste Ausgabe der Marathon-Rallye erfolgte im Jahr 1907 und führte den späteren Sieger Fürst Scipione Borghese und seine Begleiter über 16.000 Kilometer von der chinesischen Hauptstadt über die Wüste Gobi, vorbei am Baikalsee und schließlich über Moskau und St. Petersburg nach Paris. Auch heute wäre diese Reise wahrscheinlich sehr abenteuerlich, auch wenn man nicht den Strapazen der damaligen Teilnehmer ausgesetzt wäre.
Denn damals waren befestigte Straßen selbst in Europa eine Seltenheit und in Zentralasien gar nicht erst zu finden. Kein Wunder, schließlich befand sich das Automobil quasi noch in den Kinderschuhen, wenn man bedenkt, dass Karl Benz erst 1886 das Patent für seinen „Motorwagen“ anmeldete. In Asien hatten die allermeisten Menschen noch nie zuvor von einem Auto gehört, geschweige denn eines gesehen.
Doch bevor wir zur Peking-Paris-Rallye kommen, folgt eine motorsporthistorische Einordnung dieser Veranstaltung:
Kurioserweise fand das allererste „Autorennen“, wenn man es so nennen wollte, sogar schon einige Jahre vor der offiziellen Erfindung des Automobils statt. Genauer gesagt am 30. August 1867 über 12,9 Kilometer zwischen Ashton-under-Lyne und Old Trafford. Dieses wurde jedoch mit dampfbetriebenen Fahrzeugen ausgetragen, also eher mit kleinen Lokomotiven als mit Autos. Der Sieger dieses Rennens ist übrigens nicht bekannt, weil – kein Witz – beide Teilnehmer gegen das „Red-Flag Law“ verstießen. Dies besagte, dass wenn ein motorisiertes Fahrzeug beispielsweise auf Fußgänger oder Kutschen traf, diese durch einen Begleiter mit einer roten Flagge oder Laterne zu warnen sind.
Das erste „Rennen“ mit einem Verbrennungsmotor wurde 1887 von Georges Bouton in Paris gewonnen, der allerdings auch der einzige Teilnehmer dieses „Wettbewerbs“ war. Da kriegt der Satz „To finish first, you first have to finish“ eine völlig neue Bedeutung. 1894 folgte mit Paris-Rouen der erste ernsthafte Wettbewerb für motorisierte Fahrzeuge, den René Panhard gewann, obwohl er nicht als erster ins Ziel kam. Die teilnehmenden Fahrzeuge wurden damals nach Geschwindigkeit, Handhabung und Sicherheit bewertet, und somit wurde der dampfbetriebene De Dion des erstplatzierten Albert Jules Graf de Dion aus der Wertung genommen, da es einen Heizer benötigte. Die anwesenden Zuschauer interessierte das jedoch wenig und sie feierten de Dion, schließlich war er ja der Schnellste gewesen.
Diese Begebenheit sollte weitreichende Folgen haben, denn die Gründung des Automobile Club de France (ACF) nur ein Jahr später ist eine direkte Reaktion auf den Ausschluss de Dions. Der ACF richtete im gleichen Jahr mit Paris-Bordeaux-Paris nicht nur das erste „klassische“ Rennen, sondern 1906 vor den Toren Le Mans‘ auch den ersten Grand Prix überhaupt aus. Der ACF half später auch bei der Gründung des Automobile Club de l’Ouest (ACO) mit und ist zudem einer der Mitbegründer des heutigen Motorsport-Weltverbands FIA.
Um die Jahrhundertwende wurden Rennen zwischen Städten immer populärer. In Frankreich, damals führend im Automobilbau und Motorsport, veranstaltete der ACF Rennen zwischen Paris und anderen französischen (Bordeaux, Marseille, Dieppe) und europäischen Städten (Amsterdam, Berlin, Wien). Diese Rennen waren große Ereignisse, über die die Zeitungen ausführlich berichteten, und die dementsprechend auch extrem viele Schaulustige anzogen. Doch sie waren gleichzeitig äußerst gefährlich für Teilnehmer und Zuschauer. Schon damals erreichten einige Fahrzeuge Geschwindigkeiten deutlich über 100 Stundenkilometer, und das auf Pisten, die nichts anderes waren als festgetretene oder festgefahrene Schotterwege.
Das im Jahre 1903 ausgetragene Rennen zwischen Paris und Madrid führte schließlich zu einem vorläufigen Ende von Straßenrennen. Die Rennwagen erlitten auf den rauen Wegen zahlreiche Defekte, was nicht selten Unfälle nach sich zog. Es kam zu Überschlägen oder Fahrzeuge kamen von der Strecke ab, zerschellten an Bäumen oder anderen Hindernissen und fingen Feuer. Gleich auf der ersten Etappe zwischen Versailles und Bordeaux kam es zu einigen schweren Unfällen mit mehreren Todesopfern. Ein Wagen kollidierte beispielsweise mit einer geschlossenen Bahnschranke und überschlug sich. Der mitfahrende Mechaniker kam dabei ums Leben. Bei weiteren Unfällen wurden insgesamt drei Zuschauer und vier weitere Teilnehmer getötet, darunter auch Marcel Renault. Das Rennen wurde daraufhin abgebrochen, die verbliebenen Fahrzeuge beschlagnahmt und per Zug zurück nach Paris gebracht.
Mehr oder weniger gleichzeitig fanden die ersten Rennen auf geschlossenen Strecken statt, so auch 1903 auf der Milwaukee Mile. 1907 wurde mit Brooklands, südwestlich von London, die erste reine Motorsportanlage der Welt eröffnet.
Rallye Peking-Paris – Die Vorbereitungen
In diese Zeit fällt also die erste Ausgabe von Peking-Paris. Der Ursprung des Rennens liegt in einem simplen Artikel der Zeitung Le Matin vom 31. Januar 1907, in dem folgende Frage gestellt wurde:
„Was heute noch bewiesen werden muss, ist, dass ein Mann, solange er im Besitz eines Autos ist, alles tun und sich überall hinbegeben kann. Gibt es jemanden, der diesen Sommer eine Fahrt per Automobil von Peking nach Paris unternehmen wird?“
Eine berechtigte Frage. Lange Distanzen mit einem Auto zurückzulegen, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein nicht zu unterschätzendes Unterfangen. Straßen, falls sie diese Bezeichnung überhaupt verdienten, gab es kaum. Hinzu kommt, dass sich die Teilnehmer in Asien auf ihnen völlig unbekanntes Terrain begaben und ohne jegliches Kartenmaterial ihren Weg finden mussten. Und dieser führte sie von Peking in die Wüste Gobi, über das Sibirische Bergland und quer durch Russland.
Es fanden sich tatsächlich Interessierte und zunächst meldeten sich 40 Teilnehmer für dieses Wagnis, von denen allerdings nur fünf Teams ihre Fahrzeuge tatsächlich nach China verschifften: Victor Collignon und Georges Cormier setzten jeweils einen De Dion-Bouton ein, Auguste Pons ein dreirädriges Cyclecar von Contal, Scipione Borghese und Ettore Guizzardi einen Itala, und Charles Godard und Jean du Taillis einen Spyker. Dass das Motto des früheren niederländischen Herstellers von Kutschen und Luxusautos „Nulla tenaci invia est via“ („Für den Hartnäckigen ist kein Weg unpassierbar“) wie eine Antwort auf die oben gestellte Frage klingt, ist nur passend.
Auf Borghese und Godard lohnt an dieser Stelle ein genauerer Blick, denn die beiden hatten völlig verschiedene Hintergründe. Borghese stammte aus einer italienischen Adelsfamilie, die allerdings kein großes Vermögen mehr besaß. Durch seine militärische Laufbahn hatte Borghese allerdings Erfahrungen mit langen Reisen und hatte gelernt, diese perfekt zu planen und zu organisieren. So ließ er zusätzliche Stationen für Sprit und Ersatzteile entlang der geplanten Route errichten und lange bevor das Rennen begann, erkundete er auf einem Pferd die Gebirgspässe im Grenzgebiet zur Mongolei. Dabei hatte er auch ein Bambusrohr dabei, dass der Breite seines Fahrzeugs entsprach, um festzustellen, welche Wege für ihn infrage kamen.
Godard dagegen plante kaum voraus, sehr zum Unmut seines Co-Piloten du Taillis, der deshalb fast ausgestiegen wäre. Godard hatte sogar erst Fahren gelernt, nachdem er zum ersten Mal von der Rallye hörte. Sein Spyker war nur geliehen und das Ticket nach Peking finanzierte er größtenteils durch den Verkauf seiner Ersatzteile. Um zusätzlich an Geld zu kommen, spielte Godard angeblich auf dem Schiff, das ihn nach Peking brachte, Klavier. Als er in Peking ankam, waren seine finanziellen Reserven fast komplett verbraucht, sogar für Benzin war kaum noch Geld übrig. Um nach Paris zu kommen, musste Godard somit auf Bettel- und weitere Leihgeschäfte zurückgreifen. Dabei machte er auch vor Betrügereien nicht Halt. Dies sollte ihm später zum Verhängnis werden.
Um die Berichterstattung in den Medien zu ermöglichen, fuhr in jedem Fahrzeug zusätzlich ein Reporter mit. Zudem versuchte man, stets entlang von Telegrafenlinien zu fahren, sodass regelmäßig Meldungen gemacht werden konnten. Regeln gab es ansonsten nicht. Den Sieger erwartete in Paris neben Ruhm und Ehre lediglich eine Magnum-Flasche Mumm-Champagner. Ob dies auch ein Grund für die vielen Absagen war, ist nicht bekannt.
Das Rennen
Aufgrund der schlussendlich sehr geringen Teilnehmerzahl wurde das Rennen von den Organisatoren abgesagt, doch der Start erfolgte trotzdem – man war ja immerhin schon da. Um der Monsunzeit aus dem Weg zu gehen, erfolgte der Startschuss am 10. Juni 1907 um 8:00 Uhr Ortszeit.
Die Teilnehmer gerieten bereits früh in Schwierigkeiten. Heftiger Regen durchnässte die Crews in ihren offenen Fahrzeugen und sorgte dafür, dass sie sich durch tiefen Matsch kämpfen mussten. Als man die ersten Gebirgsausläufer an der Grenze zur Mongolei erreichte, hatten die Autos zu wenig Leistung, um die Steigungen zu erklimmen, sodass die Fahrzeuge von ihren Besatzungen oder von Eseln gezogen werden mussten. Auf den Gefällen erwiesen sich die Bremsen zudem als zu schwach. Die Autos waren viel zu schwer, als dass die Bremsen irgendetwas ausrichten konnten, und es erforderte viel fahrerisches Geschick, und vor allem Glück, um unbeschadet unten wieder anzukommen. Fünf Tage lang schleppte man sich so durch die Berge.
Als man die Wüste Gobi erreichte, dauerte es nicht lange, bis das erste Team aufgeben musste. Auguste Pons war in seinem Dreirad das Benzin ausgegangen und er machte sich mit seinem Co-Pilot zu Fuß auf den Weg zurück. Die beiden hatten kaum Trinkwasser, wurden aber glücklicherweise von Nomaden aufgesammelt, bevor sie in der Hitze der Wüste verdursteten. Es blieb erstaunlicherweise der einzige Ausfall der Rallye.
Die verbliebenen Mannschaften schafften es durch die Wüste, obwohl sie die immer wieder heißlaufenden Motoren mit ihren Trinkwasserreserven abkühlen mussten. Man kam aber schneller voran als im Gebirge und so blieb man auf dieser Route. In nur vier Tagen hatte man die Wüste durchquert und als die russische Grenze erreicht wurde, hatte Borghese in seinem 40 PS starken Itala einen halben Tag Vorsprung vor der Konkurrenz.
In Sibirien fingen die wahren Schwierigkeiten allerdings erst an. Die Transsibirische Eisenbahn war wenige Jahre zuvor fertiggestellt worden und Borghese hatte gehofft, die verbliebenen Militär- und Versorgungsstraßen nutzen zu können. Doch die allermeisten waren verlassen und wieder der Natur gewichen. Die Brücken, die noch standen, waren oft in einem sehr schlechten Zustand, was auch Borghese zu spüren bekam, als sein Itala beim Versuch, eine dieser Brücken zu überqueren, einbrach. Er und seine Mannschaft kamen allerdings ohne größere Blessuren davon und auch das Auto schien keinen Schaden genommen zu haben. Nach drei Stunden hatten sie das Auto befreit und aufgerichtet und so machte man sich wieder auf den Weg.
Eine andere Taktik, die die Teilnehmer wählten, war es, die Wagen auf den Bahnschienen fahren zu lassen, um so dem tiefen Matsch auszuweichen. Doch auch das war gefährlich, da man die Autos, jedesmal wenn ein Zug kam, schnell von den Schienen hieven musste.
Am 20. Juli erreichte der Itala den europäischen Kontinent und als man eine Woche später in Moskau eintraf, hatten Borghese und seine Mitstreiter einen Vorsprung von ganzen 17 Tagen herausgefahren. Angeblich nutzte der Fürst dies für einen Abstecher nach St. Petersburg, um dort etwas zu feiern. Die schwierigsten Hürden waren nun genommen und der Rest der Reise über Polen und Deutschland verlief ohne weitere Probleme. Lediglich in Belgien wurde Borghese kurz von einem Polizisten angehalten, weil er zu schnell gefahren war.
Für Charles Godard dagegen war das Rennen in Berlin vorbei. Seine Taktik, sich mit vermutlich zweifelhaften Leihgeschäften und anderen Täuschungen durchzuschlagen, hatte ihn eingeholt und er wurde wegen eines Streits über Geld und Verdachts auf Betrug festgenommen. Spyker schickte somit einen „Werksfahrer“ nach Berlin, der das Rennen an Godards Stelle beenden sollte.
Der Zieleinlauf
Am 10. August, nach insgesamt 61 Tagen, trafen Fürst Borghese, sein Co-Pilot Ettore Guizzardi und Reporter Luigi Barzini Sr. vom Corriere della Sera in Paris ein und wurden von zahlreichen Schaulustigen bejubelt. Der Spyker und die beiden De Dions von Collignon und Cormier erreichten die französische Hauptstadt erst 20 Tage später.
In den folgenden Jahren wurde versucht, das Rennen zu wiederholen. 1908 wurde ein Rennen von New York nach Paris durchgeführt, bei dem die Teilnehmer erst noch Nordamerika durchqueren mussten, ehe es von Asien aus weiter nach Paris ging. Der erste Weltkrieg, die Russische Revolution 1917 und die Entstehung der Sowjetunion verhinderten anschließend weitere Ausgaben der Peking-Paris-Rallye. Erst 1990 feierte das Rennen mit der London To Peking Motor Challenge so etwas wie eine Wiedergeburt. Es folgten weitere Austragungen beziehungsweise Nachstellungen 1997, 2005, 2007 und 2013. Im Juni und Juli diesen Jahres soll eine weitere Ausgabe erfolgen.
Ich hoffe, dass Euch dieser Einblick in die Motorsporthistorie gefallen hat. Eventuell folgen noch weitere ähnliche Artikel, unter der Voraussetzung, dass es auch zeitlich passt. Ein paar Ideen hätte ich zumindest in der Pipeline. Zum Abschluss gibt es noch ein paar Links, die ich zur Recherche genutzt habe und die auch für Euch interessant sein könnten.
Wikipedia (englisch):
die Geschichte des Automobilsports
das Rennen Paris-Madrid 1903
den allerersten Grand Prix 1906 (sehr lesenswert)
Wikipedia (deutsch):
Peking nach Paris
The Beijing to Paris Motor Race
The Incredible Automobile Race of 1907
Peking to Paris 1907: A Race Across Continents Before There Were Even Roads via Skoda Motorsport
Alle Bilder via Wikimedia Commons
1 Kommentare
Sehr interessant, gerne mehr davon.
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