Die Formula E hat den Auftakt zum ersten Lauf der neuen Saison – gleichzeitig der erste Renneinsatz der neuen Fahrzeug-Generation – vor den Toren von Riad solide über die Bühne gebracht. Mit Blick auf den zweiten Lauf in Marrakesch am Samstag bietet sich nun die Möglichkeit, auch noch auf das ein oder andere Detail der neuen Technik einzugehen.
Leider gilt weiterhin meine Kritik aus dem Vorjahr: es ist gar nicht so leicht, an konkrete technische Informationen über die Autos, d.h. insbesondere über die Antriebsstränge zu kommen. Diese sind das wesentliche Element, das die Hersteller selbst entwickeln dürfen, während Chassis und Batteriepaket vorgegeben sind. Das Kuriose ist: man hält einerseits die Fahne des technischen Fortschritts hoch und feiert sich als die Rennserie der Zukunft – doch was an Informationen über die Autos zu bekommen ist, beschränkt sich meist auf die banalen Rahmendaten wie Leistung, Höchstgeschwindigkeit, Beschleunigung und Gewicht. Aber die sind ohnehin weitgehend reglementiert.
Oberflächlichkeit ist leider eine Stärke der Formula E – es macht die Vermarktung einfacher, wenn überall einfach nur geschrieben steht, dass die Autos jetzt schneller und effizienter und sowieso einfach besser sind. Aber wirkliche Einsichten sind schwer zu bekommen. Man muss schon zu einem Spezial-Magazin wie Racecar Engineering greifen, die in ihrer Januar-Ausgabe zumindest auf ein paar Bereiche der neuen FE-Technik vertieft eingegangen sind.
Jedenfalls scheint es derzeit kein Team mehr zu geben, das einen Antriebsstrang mit Twin-Motoren einsetzt. NIO war im Vorjahr der letzte Verfechter dieser Lösung, hatte da jedoch bereits abgekündigt, ab dieser Saison auch auf einen einzigen E-Motor umzusatteln. Vor einigen Jahren versuchte sich DS Virgin noch halbwegs erfolgreich damit, doch der Wagen war sehr hecklastig und geriet schnell ins Rutschen. Das war spektakulär, aber wenig effizient. Bei NIO (damals noch NextEV) lief es noch schlechter. Nissan, die im ersten Jahr noch einen von Renault entwickelten Antriebsstrang nutzen, prüft wohl die Möglichkeit eines Twin-Antriebes, aber eine Prüfung kann ja durchaus auch negativ ausgehen.
So ist es häufig bei neuen Serien bzw. neuen technischen Reglements: anfangs gibt es noch Vielfalt, weil mit verschiedenen Ansätzen nach der besten Lösung gesucht wird – aber ist diese beste Lösung einmal identifiziert, wechseln nach und nach (fast) alle zu dieser Option. Auch bei den Getrieben waren anfangs alle Variationen von einem bis hin zu fünf Gängen dabei. Im Prinzip reicht für E-Motoren aufgrund des stets voll vorhandenen Drehmoments ein einzelner Gang.
Aber im Rennsport kommt es bekanntlich auf kleinste Zeitgewinne an, und mit mehreren Gängen kann man die Ausnutzung verschiedener Drehzahlbereiche optimieren. Fünf Gänge, wie sie das ursprüngliche Hewland-Einheitsgetriebe hatte, sind jedoch nicht unbedingt nötig, zumal die Motoren über die Jahre auch in dieser Hinsicht verbessert wurden. In der Abwägung zwischen Gewicht und Komplexität einerseits und Optimierung der Drehzahlausnutzung andererseits haben sich in den letzten Jahren hauptsächlich Lösungen mit einem, zwei oder drei Gängen durchgesetzt. Bei den zwei- und Dreigang-Getrieben diente jedoch einer in der Regel auch nur als „Startgang“.
Auch über den Inverter, der den Gleichstrom der Batterie – die im Gen2-Boliden übrigens kein tragendes Element des Chassis mehr ist – in Wechselstrom für die E-Motoren umwandelt, kann viel an Effizienz gewonnen werden, aber darüber liest man kaum irgendwo ein Wort. Und da ich in dem Bereich wenig Kenntnis habe, kann ich darauf leider auch nicht näher eingehen. Da liegt sicherlich auch einer der Gründe für die Technik-Oberflächlichkeit der FE-Außenkommunikation: während die Vorgänge in einem Verbrennungsmotor lange bekannt und einigermaßen allgemeinverständlich sind, sodass selbst in Mainstream-Publikationen Feinheiten wie die“ Turbulent Jet Ignition“ vor einigen Jahren dargelegt werden, sind die Details eines elektrischen Antriebsstranges schwerer zu greifen und damit wohl auch zu erklären – für Laien stellt sich der E-Antrieb mehr als eine „black box“ dar als der klassische Verbrenner – die Formula E könnte sich meines Erachtens durchaus stärker bemühen, daran etwas zu ändern.
Etwas Einblick bekommt man z.B. auf dieser Webseite, aber der letzte technische Eintrag dort ist auch schon wieder über ein Jahr alt und behandelt nicht die aktuelle Fahrzeuggeneration. Dem dort zum Thema „Inverter“ zu findenden Text ist auch zu entnehmen, dass einer der wesentlichen Entwicklungsaspekte im Zusammenhang mit dem Inverter die Software für die Steuerung des Antriebsstranges ist. Diese dient unter anderem dem Batterie- wie auch dem Temperaturmanagement, einem sehr wichtigen Aspekt der Elektro-Antriebsstränge. Wir erinnern uns an einen Sebastien Buemi, der in Saison 2 in Putrayaja plötzlich verlangsamt, weil das System überhitzte, und so eine dominante Führung und einen sicher geglaubten Sieg verlor.
Der Clou ist: während die wesentlichen mechanischen Teile des Antriebsstranges zu Saisonbeginn homologiert werden und nicht weiterentwickelt werden dürfen, ist die Software-Entwicklung im Laufe der Saison möglich. Und hier liegt darum eines der wichtigsten technologischen Schlachtfelder zwischen den FE-Konstrukteuren. Diesem Aspekt kommt auch durchaus eine gewisse Serienrelevanz zu, auch wenn es dort nicht darum geht, das Auto am Limit zu bewegen, sondern die Reichweite auszudehnen – beides hat mit der Effizienz des Antriebsstranges zu tun.
Eine weitere technische Neuerung des Gen2-Autos gegenüber dem alten FE-Fahrzeug ist, dass die Hinterrad-Bremse nun über Brake-by-wire gesteuert wird, eine hydraulische Verbindung vom Pedal zur hinteren Bremse gibt es nicht mehr. Dadurch entfällt ein Aspekt, der für die Fahrer in den letzten vier Saisons immer besonders viel Arbeit und für Neulinge eine große Herausforderung darstellte: die kontinuierliche Anpassung der Bremsbalance, um die Akku-Regeneration bestmöglich auszuschöpfen und trotzdem auch die für jede Passage richtige Bremswirkung zu erreichen. Mit dem nun eingeführten elektronischen System wird dies im Wesentlichen automatisiert geschehen, auch hier kommt also die Software zum Tragen. Rookies könnte der Um- bzw. Einstieg damit etwas leichter fallen.
Zusammenfassung Ad Diriyah ePrix
Für Rookies sollte sich der erste Renntag der neuen Saison aber aus einem anderen Grund ganz und gar nicht einfach gestalten: die Formula E erwischte in Riad bzw. im historischen Vortort Ad Diriyah einen der wenigen Regentage, die es in der arabischen Wüste gibt, und so fielen die freien Trainings direkt mal buchstäblich ins Wasser. Die Qualifikation wurde nach hinten verschoben und in zwei (statt vier) Gruppen und ohne Super Pole ausgetragen.
Die Pole holte Antonio Felix da Costa im BMW-Andretti mit knapp vier Zehnteln Vorsprung. Zweitschnellster war Tom Dillmann, doch seine eigentlich clevere Idee, ein paar Runden mehr auf leerer Strecke zu fahren, um sich an die neue und nasse Bahn zu gewöhnen, verstieß leider gegen das Reglement.
Da Costa führte dann auch vom Start weg und bestätigte so die nach den Vortests vermutete Favoritenrolle von BMW. Doch nach knapp 20 Minuten des nun auf 45 Minuten zuzüglich einer Runde ausgelegten Rennens konnte Titelverteidiger Jean-Eric Vergne den Andretti Piloten ein- und überholen – zehn Minuten später folgte auch Teamkollege Lotterer, der sich den neuen Attack Mode zu Nutze machte. Hierzu gab es vor dem Rennen noch Bedenken, dass die Aktvierungszone am Ausgang einer engen Kurve auf der Innenbahn ungünstig ausgelegt sei, doch der Zeitvorteil über die vier Runden, die man die zusätzliche Leistung danach zur Verfügung hatte, machte diesen Nachteil wieder wett. Zweimal musste jeder Pilot den Attack Mode im Rennen benutzen, dies gibt die Rennleitung immer erst kurz vor dem Start bekannt, um die Ausarbeitung optimaler Strategien zu erschweren.
Es führten zur Rennmitte also die beiden Techeetahs – doch schon wenige Minuten später wurden beide von der Rennleitung zur Durchfahrtsstrafe in die Boxengasse beordert: die Offiziellen hatten Unregelmäßigkeiten bei der Batteriesteuerung festgestellt, im Originalwortlaut wird das Vergehen wie folgt beschrieben:
The level of charge power available is progessively increased as the pack discharges from 100% SoC, as described by the figures
Damit lag ein Verstoß gegen den “Battery Software Implementation Guide” vor. Möglicherweise hat man hier versucht, die Grenzen des Erlaubten auszuloten. Jedenfalls wurden auch Felipe Massa (Venturi) und Gary Paffett (HWA Racelab, die aber Venturi-Anbtriebsstränge nutzen) des gleichen Vergehens für schuldig befunden.
So oder so waren die beiden Techeetahs die schnellsten Autos auf der Strecke: ihre schnellsten Runden (1:12.750 von Vergne und 1:12.591 von Lotterer) lagen mehr als eine halbe Sekunden unter der besten Zeit eines Konkurrenten. Diese Bestzeiten wurden sämtlich im Attack Mode eingefahren, der durchaus zwei Sekunden pro Runden bringen konnte.
Jean-Eric Vergne konnte sich, nach der Strafe auf Platz 5 liegend, so schnell wieder vorarbeiten. Dabei half auch, dass der auf Platz 3 liegende Jose Maria Lopez mit gebrochener Aufhängung liegen blieb und eine Safety Car-Phase auslöste. Doch zum Sieg reichte es nicht mehr, auch mit einem gewagten Angriff beim letzten Durchfahren der Schikane konnte Vergne den Sieger Antonio Felix da Costa nicht mehr gefährden. Dritter wurde Jerome d‘Ambrosio im Mahindra vor Mitch Evans im Jaguar. Andre Lotterer blieb nach seiner Durchfahrtsstrafe auf Platz 5 hängen, kam damit aber vor Ex-Champion Sebastien Buemi und dem besten Rookie, Oliver Rowland, ins Ziel. Die beiden Abt-Audis landeten auf den Rängen 8 und 9, sicher ein eher enttäuschender Saisonauftakt.
Vorschau Marrakesh ePrix
Der Blick voraus auf den Marrakesch ePrix fällt fast ebenso schwer wie die Suche nach technischen Detailinformationen. Anstelle einer vernünftigen Streckengrafik bietet die FE-Webseite einen „Lifestyle“-Guide, der erklärt, was man im E-Village so anstellen kann – aber das mag auch so eine generelle Erscheinung unserer Zeit sein, der die FE (clevererweise?) folgt.
Aber zum Glück ist der Kurs in Marrakesch bekannt: er wurde eins in dieser heutigen Variante als semi-permanenter Kurs für die WTCC gebaut und nutzt nur noch in Teilen den ursprünglichen Stadtkurs, der nur aus langen Geraden und Schikanen bestand. Die Start-Ziel-Gerade wird nun anders herum befahren und die Strecke ist für die Formula E wie gemacht, denn es gibt mehrere Gerade von überschaubarer Länge, viele enge aber im ersten Sektor auch ein paar weitere Kurven.
Die „Attack Mode“-Aktivierungszone hat man – so ist es der Pressemappe zu entnehmen – anscheinend auf die Außenbahn der mittelschnellen Kurve 3 gelegt. Diese Variante kommt dem Promo-Video näher und dürfte auch den Fahrern besser gefallen als der fiese Kurvenausgang in Riad. Wie die Zone mit den drei Zeitnahme-Linien, die man zur Aktivierung überfahren muss, dann genau ausgestaltet sein wird, muss man abwarten.
Der Marrakesh ePrix findet am Samstag statt, Rennstart ist um 16 Uhr deutscher Zeit, Eurosport überträgt live ab 15:45 Uhr. Für die Übertragung oder auch eine Aufzeichnung der Qualifikation hat man dort aber diesmal vor lauter Wintersport keinen Platz gefunden.
(Bilder: Formula E Media)
1 Kommentare
Da das Rennen nun durch ist, bin weiter sehr überrascht, dass es keine Strafen für die Teams und Fahrer gab, die den zweiten Durchlauf des Attack Mode nicht in der Rennzeit „abgefahren“ haben.
Leider ist das im zugänglichen Reglement nicht nachlesbar bei der FIA, mir scheint aber es wurde immer so erklärt, dass jeder Fahrer zweimal die 4 Minuten Attack Mode nutzen muss. Das würde für mich jedoch heißen, vollständig nutzen muss, sonst hätte ein Fahrer aus meiner Sicht einen Vorteil. Schon beim ersten Rennen sind ja dann alle frühzeitig hinter dem SC in die AM-Aktivierung gefahren, obwohl absehbar war, dass die SC noch länger dauern wird. Diesmal auch merkwürdig, dass nur 2 oder 3 Fahrer nicht sofort wie 90% des Feldes in der ersten SC-Runde drüberfuhren um halt die 4 Minuten auch vor Rennende rumzubekommen.
Ist man knapp mit seinem Energiespeicher am Rennende (halt ohne SC-Phase zum sparen) und würde z.B. die 4 Minuten Attack Mode nicht nutzen können aufgrund der vorhandenen Restreichweite, könnte man ja bei normalem Rennverlauf in der letzten Runde in die Aktivierungszone fahren und nur die gut 1 Minute (je nach Strecke +-) absitzen von der Aktivierungszone bis zur Zielline. Die Konkurrenz musste sich die in den zweimal 4 Minuten AM genutzt Energie vorher oder nachher absparen und in anderen Rennphasen langsamer fahren. Derjenige der den AM also taktisch nutzt muss weniger Energie einsparen? Das kann doch nicht richtig sein.
So wie ich das bisher verstanden habe, so richtig will sich ja keiner der Teams wirklich öffentlich zum AM äußern, doch die Teams und Ingenieure finden diesen Attack Mode für ihren Gesamtverbrauch wohl gar nicht so toll hinter vorgehaltener Hand. Würde er nicht erzwungen sein, würde er wohl von einem Großteil gar nicht oder maximal einmal die 4 Minuten genutzt werden. Die Energie die für die 8 Minuten 25 kw mehr Leistung gespart werden muss, sowie zweimal der Umweg in die Aktivierungszone sind in der Gesamtrechnung der Rennzeit wohl länger als das, was man zeitlich in den 8 Minuten wieder reinfahren kann. Dafür ist die Rekuperation einfach zu schwach. Dazu kann ich bei dem Plan eh nur 1 Minute am Rennende den AM zu nutzen, die stärkere Rekuperation im letzten Batterieviertel ausnutzen, die ja bekanntlich erst voll genutzt werden kann, wenn die Batterie in dem niedrigen Ladestand ist.
Haben die 3 die gestern nun nicht den kompletten AM genutzt haben ein Schlupfloch im Reglement gefunden? Ist es keinem aufgefallen? Gibt es Sonderregelungen bei einer SC-Phase am Ende der Rennen? Das bei der FIA einsehbare sportliche Reglement verweist halt leider bei der Nutzung des AM auf Veröffentlichungen am Rennwochenende (The number of activations, the number of periods of compulsory use, and the minimum time of arming of the attack mode, will be determined at each race by the FIA, according to the special features of the circuits., one hour before the start at the latest.)
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